BIID und Autismus

tilman
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 21032Beitrag tilman »

marcit hat geschrieben:Es gibt auch einen Zusammenhang von Autismus mit Fetischismus. Wenig erstaunlich, sind doch viele Autisten eher auf Dinge wie auf Personen fixiert.

Auch bei BIID fällt manchmal die Abgrenzung schwer, was noch Fetischismus ist und was schon BIID. Der Übergang ist fliessend.
Danke sehr!

Den Zusammenhang zwischen Homosexualität oder Transsexualität mit BIID und / oder Autismus denn Du auch aufzeigst kann ich nachvollziehen.

Bei Fetischismus wäre ich vorsichtig. Ich mache es mir einfach mal bequem und zitiere einige Absätze, die ich an anderer Stelle im Forum dazu geschrieben hatte. Ich glaube Fetischismus und BIID /Autismus sind grundverschieden.
Wie ich oben als Theorie zum Verständnis von BIID vorgeschlagen habe: Ich denke nicht, dass BIID eine Erkrankung der bildlichen Wahrnehmung des Körpers von sich selbst ist; dass also das Gehirn eine verkehrte Ansicht vom eigenen Körper hat. Ich denke, dass BIID eine Erkrankung der sinnlichen Erfahrung des Körpers von sich selbst ist; dass also das Gehirn eine verkehrte Wahrnehmung von eigenen Körper hat.

Damit aber denke ich auch, dass es kein ‘Triggererlebnis’ geben muss: den Rollstuhlfahrer, dem man damals von der Kinderkarre aus erspäht hat oder den Einbeinigen, den man mal als Kleinkind gesehen haben muss.

Wenn wir ein Baby auf einer einsamen Insel versorgt von Manna vom Himmel aussetzen, so kann es BIID bekommen. Irgendwann bekommt das Gehirn die Sinneswahrnehmungen vom eigenen Körper nicht geregelt und erfaehrt dann einen Teil des Körpers anders / verkehrt. Diese verkehrte Gewichtung oder Erfahrung von sinnlichem Erleben des eigenen Körpers kann / muss aber nicht auch sexuelle Sinneswahrnehmungen betreffen. So entsteht BIID mal mit mal ohne sexueller Komponente.


Fetischismus hingegen ist ein Zustand, der einen äusseren Einfluss braucht und der eine erhebliche intellektuelle Verarbeitung braucht.
Zum ersten Punkt: unser Baby auf der einsamen Insel wird keinen Lacklederfetisch oder einen Korsettfetisch entwickeln. Sowas gibt es nicht auf der Insel. Es braucht also immer diesen Trigger von aussen.

Zum zweiten braucht die Entstehung eines Fetisch aber wohl doch auch allerhand Gehirnarbeit. Ein Fetisch ist ja doch normalerweise verknüpft mit erhebenden, mit anreizenden, aufreizenden Dingen. Ich hätte noch nie von einem Fetisch fuer Baumrinde oder Gummibaumblätter gehoert. Auch wird ein Schuhfetisch nicht markenlose no-name Turnschuhe vom Discounter betreffen sondern eher Schuhe welche anregen und erregen sollen. Da muss also ganz, ganz viel vor sich gehen im Gehirn einen Gegenstand oder ein Gefühl anregend, aufreizend zu finden und das dann schliesslich mit Wonne und Wollust zu verknüpfen.

BIID hingegen erwischt einen – so sehe ich dass – ohne bewusste Gehirnarbeit. Da geht etwas schief, das rein unbewust ist, und das wir an keinem Punkt seiner Entstehung kontrollieren können.


In den Folgen von BIID und Fetischismus gibt es dann bestimmt Prallelen. Jemand mag denken er habe einen Fetisch fuer dunkle Sonnenbrillen dabei mag er ein unentdecktes BIID, welches seinen Sehsinn betroffen hat, mit sich herumschleppen. Jemand mag sich einreden er habe eine sexuell betonte Form von Blindheits-BIID dabei mag er ‘nur’ einen Fetisch fuer dunkle Sonnenbrillen und Augenbinden entwickelt haben. Ich denke wegen solcher ‘Nachbarschaften’ soll man grad im jungen Alter behutsam mit selbst-diagnostiziertem BIID sein.

Ich mag Unterschenkelliegegips rechts, weil mir das zum einen eine veränderte Sinneswahrnehmung am rechten Fuss gibt und weil es mich nötigt Krücken zu nehmen. Jemand mit Gipsfetisch mag einen Unterschenkelliegegips anregend, aufregend oder erregend finden. Ich wuerde mir denken, dass wenn mein BIID die Wahrnehmung meines Fusses mit sexuellen Wahrnehmungen verküepft hätte, die Ähnlichkeit zu einem Gipsfetisch sogar noch frapierender währe.

Aber ich denke aus den oben genannten Gruenden, dass Fetischismus und BIID /Autismus grundverschiedene Störungen sind.

Tilman
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marcit
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 24073Beitrag marcit »

Ich möchte diesen interessanten Zusammenhang wieder etwas nach oben bringen, neuer Mitglieder haben ihn vielleicht noch nicht gelesen. Zumal ich an mir selbst durchaus gewisse Aspekte von Asperger beobachten kann.
Elfin
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 24080Beitrag Elfin »

Vielen Dank an Fadenverfasser und Nach-oben-Kicker!

Das sind sehr interessante Aspekte und in meinem Gehirn rattert es gerade stark vor sich hin. Vielleicht ist das ja der Grund, warum ich pausenlos, wenn ich sitze, mit den Beinen wippen muß? Ich kann es mir einfach nicht abgewöhnen und sicher ist es auch Ausdruck von innerer Unruhe, aber vielleicht hat es noch einen anderen Grund, gehöre ich doch zur Querschnittfraktion.

Körperbojen-mäßig kann ich mich leider nicht anschließen. Im Sommer tage ich oft Bänder um die Fußgelenke, jedoch bringt es mir nichts an Erleichterung oder Entspannung, aber vielleicht sind Amputations- und Querschnitts-BIDler da auch unterschiedlich?
Für mich kommt leider nur der Querschnitt an sich in Frage als "Heilung" - vielleicht weil ich sonst noch keine Alternative wie Deine Körperbojen für mich gefunden habe, außer hampeln, was leider nicht gesellschaftlich anerkannt ist, oder weil ich einfach nach über 40 Jahren mit BID geistig zu unflexibel geworden bin, um mir etwas anderes vorzustellen, als im Rollstuhl zu sitzen.

Bitte versteh' das jetzt aber nicht als Herabwürdigung Deines Artikels! Der ist super und ich bin sehr froh ihn gelesen zu haben, finde ich neue Sichtweisen auf Themen doch grundsätzlich fruchtbar und mich wird das Thema mit Sicherheit noch länger beschäftigen.

LG, K.
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Niels
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 24089Beitrag Niels »

In den bisherigen wissenschaftlichen Studien zu BID wurden keine anderen psychischen Muster gefunden. Wäre Autismus in den Untersuchungen nicht aufgefallen?

BID kann eine Barriere zwischen den anderen und mir sein. Das wirkt vielleicht wie Autismus. Wie jedes peinliche Geheimnis macht BID unsicher.

marcit, kannst du den Link Autismus und Transsexualität checken? Seite nicht gefunden.
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marcit
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 24091Beitrag marcit »

Leider scheint der damalige Link zu Autismus und GID einem Redesign dieser Seite zum Opfer gefallen zu sein. Eine kurze google Suche mit den Schlagworten GID und Autismus fördert aber unter anderem folgendes zutage:

https://books.google.ch/books?id=lWkvDw ... id&f=false

oder auch

https://autismawarenesscentre.com/autis ... dysphoria/

Viele BID Betroffene haben auch eine Menge andere psychische Probleme. Nur werden diese korrekterweise meist als Folge von BID betrachtet. Funktionaler Autismus ist ziemlich unauffällig. Wenn man nicht danach sucht, fällt es nicht mal unbedingt den Betroffenen selbst auf.

Ich möchte nicht sagen, dass BID und Autismus das gleiche ist. Aber wenn da ein Zusammenhang besteht, dann helfen möglicherweise Dinge, die Autisten gut tun, auch uns. Von dem her ist das ziemlich interessant.
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Andy_OS
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 25750Beitrag Andy_OS »

Also ich denke bei mir ist der Zusammenhang durchaus gegeben. Als diagnostizierter "Asperger"-Autist habe ich ein vielfach stark sensibilisiertes Wahrnehmungsvermögen, also auch eine Anfällgkeit für Reizüberflutung. Darin sehe ich auch einen Grund bei mir, dass sich mein BIID überwiegend auf Sinneswahrnehmungen und die damit zusammenhängenden Einschränkungen und Hilfsmittel bezieht, also Seh- und Hörbehinderung kombiniert mit starken Brillen und Hörgeräten...
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Andy_OS
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 28547Beitrag Andy_OS »

Hierzu nun auch noch ein kleiner Nachtrag von mir aus aktuellem Anlass: In jüngster erst richtig klar geworden, welche Auswirkungen meine Autismus-Spektrum-Störung auch auf die auditive Wahrnehmung hat - z.B. auch durch die Lektüre dieses Textes: https://www.autismus-mittelfranken.de/f ... tisten.pdf
Früher habe ich mich auch immer für meinen Hörgeräte-Fetisch geschämt, auch weil ich damit eigentlich immer nur auf Unverständnis und Ablehnung gestoßen bin: "Sei doch froh, dass Du gut hören kannst und so etwas nicht tragen musst." - "Hörgeräte sind doch kein Spielzeug" - und so weiter und so fort....
Doch inzwischen bin ich auch soweit, dass ich mich mit meinen Hörgeräten auch in die Öffentlichkeit traue, zwar nicht unbedingt in meinem Wohnort, aber schon in der nahe gelegenen Großstadt Münster. So war ich am vorletzten Samstag mit zugestopften Ohren (mit einer von mir selbst entwickelten hochabdichtenden Knetmasse direkt vor dem Trommelfell platziert) und zwei richtigen Power-Geräten - Siemens Artis 2 SP - auf einer Veranstaltung im Rahmen des Stadtfestes, auf dem insgesamt sehr viel los war.
Meine Erfahrungen dort: Ich hatte dort eine Verabredung mit einer Freundin, die von meinem Fetisch weiß, und die ich auch zuvor über meine Absicht, mit Hörgeräten zu erscheinen, informiert habe. Durch die Reduktion der Umgebungsgeräusche mit den Geräten (natürlich mit dem entsprechenden Hörprogramm) konnte ich mich dann sehr viel besser und entspannter mit ihr unterhalten, und auch dem Vortrag einer Referentin dort konnte ich damit sehr viel besser folgen. Als es mir dann insgesamt dann doch zu laut und rummelig wurde, konnte ich mich etwas abseits auf ein Sofa setzen und die Geräte einfach ausschalten - dann hatte ich meine Ruhe. Am nächsten Tag war ich dann auch sehr viel entspannter und frischer als ich es nach solchen Ereignissen normalerweise bin.
Ich weiß, dass man mit Hörgeräten niemals so gut hören kann wie ein Normalhöriger. Aber wenn eine Normalhörigkeit wie bei mir zu Reizüberflutung und Stress führt, dann kann das eingeschränkte Hören mit Hörgeräten auch eine angenehme und wohltuende Erfahrung sein - und diese Erfahrung habe ich in der Tat gemacht.
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