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Erklärungsnot

Verfasst: Mi 30. Okt 2019, 17:15
von Emma95
Hallo ihr Lieben,

ich bin seit kurzem stolze Besitzerin eines Küschall K Attract und war letzten Samstag das zweite Mal in meiner „Pretending-Karriere“ rollend in der Stadt unterwegs.

Nun stelle ich mir einige Fragen...
Was sagt ihr, was euch fehlt, falls jemand mal nachfragen sollte? In meiner Vorstellung ist es der Querschnitt, aber das kann ich schlecht antworten, weil das sofort jeder sehen würde, der sich auch mur etwas auskennt.

Wurdet ihr schonmal beim Pretenden von einer bekannten Person erkannt und musstet euch erklären? Ich werde es wohl auf das Architekturstudium schieben (da haben wir auch Fächer wie Barrierefreies Bauen etc.), stellt sich nur die Frage, was ich sage, wenn ich eine/n Kommilitonin/en treffe.

Kommt ihr euch vor dem Pretenden auch immer so extrem bescheuert vor? Ich frage mich immer „was für einen Mist tust du hier eigentlich“ und sobald ich sitze sind die Gedanken vergessen.

Fühlt ihr euch auch irgendwie wie Lügner, wenn euch jemand hilft, wie zum Beipiel die Tür aufhält, den Stuhl im Restaurant weg stellt etc...

Ich freue mich auf Eure Erfahrungen und Gedanken.

Liebe Grüßileins

Re: Erklärungsnot

Verfasst: Mi 30. Okt 2019, 21:31
von ROK
Hallo Emma,

also ich wünsche mir eine Oberschenkelamputation und pretende diese auch in meiner Wohnung. Draußen habe ich mich das noch nicht getraut, aber auf Krücken laufe ich regelmäßig, dabei meist den rechten Fuß dick bandagiert mit Socken drüber. Ausreden habe ich für den Notfall parat, ist ja einfach in dem Fall.

In Deinem Fall stell ich mir das komplizierter vor. Insbesondere, wenn Du dann ein paar Tage später wieder ohne Rolli gesehen wirst.

Das Pretenden meiner OS Amputation stell ich mir schwieriger vor, es sieht eben nicht 100 % echt aus und wenn jmd Ahnung hat, fällt es auf. Im Rollstuhl denke ich, ist es bestimmt autentischer. Aber dafür habe ich keinen Platz und hätte z.B. bei Nachbarn ein Erklärungsproblem.

Wie machst Du das mit dem Rollstuhl?

Bescheuert komm ich mir nicht vor. Ich möchte meine Körperwunschvorstellung ja ausleben. Ich möchte aber auch niemanden schockieren bzw. wäre es unschön, wenn mich jmd enttarnen würde. Die meisten Leute würden ja nicht verstehen, was ich da mache. Das hindert mich momentan daran, mit hochgebundenem Bein zu pretenden. Es wäre alles so einfach wenn ich den Stumpf schon hätte.

Als Lügner fühle ich mich auch nicht, ein Leben auf Krücken ist ja in meiner Vorstellung richtig und wäre normal für mich. Ich möchte ja keine Show abziehen und den Hilflosen vor anderen spielen.

Grüße

ROK

Re: Erklärungsnot

Verfasst: Fr 1. Nov 2019, 07:08
von Drescher
Hallo Emma,
Ich habe Anfangs immer gesagt das ich aus Ungeklärten Ursachen immer starke Schmerzen beim Länger Laufen habe, hat mehrere vorteile

1. Es fällt nicht auf, wenn ich nicht immer im Rolli unterwegs bin

2. keiner kann dir das Gegenteil Beweisen.

3. du kannst ohne Bedenken Aufstehn um den Rolli bspw. ausm Auto zu holen bzw. Einzuladen.

Re: Erklärungsnot

Verfasst: So 3. Nov 2019, 22:29
von nickf#
Schmerzen und Schwierigkeiten beim Laufen sind eine anständige Antwort und, da das Thema gar nicht erfreulich ist, werden die meisten Leute nicht näheres dazu sagen bzw Fragen stellen. Nä. Ein Lügner bist du auf keinen Fall. Du brauchst eben einen Rollstuhl 😉

Re: Erklärungsnot

Verfasst: Mi 6. Nov 2019, 15:36
von Gummipalme
Ich kann deine Bedenken durchaus nachvollziehen. Ging mir am Anfang auch so. Ich bin immer weiter weg gefahren, um zu pretenden. Gefragt hat mich eigentlich nie einer. Und sonst ist das mit den ungeklärten Schmerzen bzw neurologisches Leiden immer eine gute Sache. Heute gehe ich damit viel offener um. In meinem Umfeld wissen einige von biid, auch meiner Partnerin. Mehr Leute wissen, dass ich einfach gern im Rolli unterwegs bin. Allerdings hat diese Entwicklung auch viele Jahre gedauert.
Ich wünsche dir viel Erfolg! Vlt Rollt man sich ja mal über den Weg.

Re: Erklärungsnot

Verfasst: So 10. Mai 2020, 16:27
von BiidTom
Ich hatte das Glück, das ich nicht einmal Lügen musste, als ich im Rolli pretrenderte. Ich konnte sagen, dass es eine Spätfolge eines Motorradunfalls mit 20 und die Ärzte haben gepfuscht. Vor drei Jahren wurde mir einen Rollstuhl verschrieben, den ich nur, wenn die Schmerzen beim gehen zu gross würden (lange Strecken, fürs Einkaufen). Jetzt kann ich kaum mehr als 20m gehen.

Jetzt "lüge" ich fremde Leute an und sage ich sei von 2. Lendenwirbel an gelähmt. Diese kann man gut simulieren. Die Hüfte ist bei einem Querschnitt bei L2 nicht gelähmt. So muss man beim simulieren nicht auf den Oberkörper nicht achten und nur aufpassen, dass man unkontrolliert die Beine aktiv bewegen tut. Ich nehme die Beine in die Hände und bewege sie so.

Re: Erklärungsnot

Verfasst: Sa 16. Mai 2020, 16:39
von Reffot
Genau diese Erklärungsnot ist meine größte Angst. Ich war gestern nacht in der Nachbarscharstadt (Was n mega Nervenkitzel war, weils so nah war. Der Ruhrpott ist ja doch n Dorf) ausrollen und hab keine Ahnung wie ich es hätte erklären sollen. Vielleicht irgendwie Pädagogisch "Um mal die Perspektive eines Rollifahrers kennenzulernen blabla" oder so...

Re: Erklärungsnot

Verfasst: So 17. Mai 2020, 11:55
von BiidTom
Die Wahrheit ist die beste Erklärung.

Sagt doch in etwa folgendes:
"Auf Grund einer ungeklärten psychischen Störung mag ich Rollstuhlfahren sehr. Bis jetzt hätte die psychiatrische Behandlung nichts gebracht."

Ihr habt nichts von BID gesagt und könnt mit dem Rolli von nun an soviel pretrendern wie ihr wollt.

Re: Erklärungsnot

Verfasst: Sa 6. Aug 2022, 20:53
von Johann
Ist zwar schon eine Beitragsleiche…aber dennoch muss ich jetzt da mal meinen Senf dazu geben. Das erste Mal habe ich 2003 pretendet/ Rolli…und dann lange nicht mehr.
Habe mir jetzt aus der Bucht einen passenden Sopur/Quickie Argon2 geangelt. Dazu ein Jay Deep Contour Gelkissen. Ich habe eine ziemlich hohe Rückenlehne gewählt, bis eine Handbreit unter den Schulterblättern. Kein Mensch hat mich angesprochen wegen meiner „Lähmung“…oder warum ich meinen Oberkörper so und so bewege..jede Lähmung/Erkrankung ist anders/ inkomplett oder man hat MS…das interessiert nun wirklich niemand. Da ich meinen Rolli nur im Kofferraum verstauen kann, steige ich schwerfällig und unsicher aus, halte mich an der Karroserie fest und gehe langsam und unsicher zum Kofferraum. Dann öffne ich ihn, setze mich auf die Ladekante und hole meinen Rolli raus. Keinen interessiert das…ja, es sei denn, jemand kennt euch. Ich habe meinen Spruch parat/ je nachdem, wer es ist.

Ich pretende gerne etwas weiter weg, dann aber immer mittenrein ! Neue, große Shopping-Mals sind perfekt zum Rollen, barrierefreie Toiletten überall. Auch der Frankfurter Flughafen ist mega, da war ich heute auch auf der Besucherterrasse. ICH spreche die Leute an…immer ! Wegen eines Fotos z.B. … natürlich kann man in diesen Gängen Kilometer abrollern, das es eine wahre Freude ist ! Traut Euch ! Wir schaden ja niemandem, ich mache meine Türen selbst auf…ja, einmal hab ich eine gutaussehende, junge Frau angesprochen, ob sie mir mal was aus dem Regal runterreichen könnte…sie wird es überleben! 😉 Und ja..ich parke niemals auf Rolli-Parkplätzen, deshalb ist auch der Transfer vom Kofferraum nicht schlecht.

Re: Erklärungsnot

Verfasst: Di 9. Aug 2022, 20:12
von Humpelstilzchen
Johann hat geschrieben: Sa 6. Aug 2022, 20:53 Ich pretende gerne etwas weiter weg, dann aber immer mittenrein !
Wer erinnert sich nicht gern an seine ersten Male ;-)
Ja, das ist so richtig "geil", wenn man merkt, es stört eigentlich niemanden, keiner stellt Fragen, eine unheimliche Befreiung. So muss das. Das ist dann so der Point of No Return, wenn man den richtigen Weg erkannt hat und auch geht.
Johann hat geschrieben: Sa 6. Aug 2022, 20:53 Und ja..ich parke niemals auf Rolli-Parkplätzen(...)
Ohne entsprechende Erlaubnis würde das auch unheimlich teuer und soweit ich weiß, gibts dafür sogar Punkte, weiß ich aber nicht mehr genau.