BIID und Autismus

tilman
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BIID und Autismus

Beitrag: # 20810Beitrag tilman »

Body Image Identity Disorder: Bildstörung oder Wahrnehmungsstörung?


Die Suche nach dem Heiligen Gral … was nur ist denn BIID eigentlich?

Ich habe darauf beileibe keine Antwort. Aber ich will im Folgenden versuchen vielleicht einige Parallelen zu etwas “gewöhnlicheren” Erkrankungen aufzuzeigen. Vielleicht, vielleicht ist BIID sooo exotischen denn ja auch wieder nicht?

Möglicherweise hat mein Gehirn irgendwo tief drin schon seit meiner frühesten Kindheit ein Bild von mir abgespeichert; ein Bild, welches meinem Körper erlaubt ich selbst zu sein, ein Bild, welches als Blaupause dafür dient mich mit mir selbst abzugleichen – eine Vorstellung meiner Selbst. Tja, und vielleicht hat sich das irgendwie im Kleinkindalter so ergeben, dass ich mich da halt ohne meinen rechten Fuss abgespeichert habe. So – oder so ähnlich schauen manche Vorschläge aus, was denn bei BIID eigentlich schiefgegangen sein mag.

Ja, oder mag es sein, dass mein Gehirn Schwierigkeiten damit hat meinen Fuss “zu verarbeiten”? Sensorische Signale zu verarbeiten ist ja bei weitem nicht unproblematisch. Wenn das dem Gehirn schiefgeht, dann geht erstaunlich viel schief. Ich erlaube mir mal einen Ausflug in eine – wie es zunächst erscheinen mag – ganz andere Erkrankung … Autismus.

Autismus: Gestörtes Verhalten oder gestörte Wahrnehmung?

Autismus – oder genaugenommen Autistische Spektrum Erkrankungen sind wie der Name schon verrät ein bunter Tuschkasten aus Problemen. Manche Autisten fallen kaum auf in der Gesellschaft, andere sind kaum sozial funktionstüchtig. Gerade dieses Problem mit der mangelnden Fähigkeit zum sozialen Umgang bei manchen (längst nicht bei allen!) Autisten bringt Autismus leicht in den Bereich der Verhaltensstörungen. Das ist aber vermutlich nicht richtig. Autisten verhalten sich nicht gestört. Autisten reagieren nur auf gestörte Wahrnehmungen. Das mag dem Umfeld dann Verhaltensgestört erscheinen. Wenn es mir zum Beispiel immer in den Ohren klingelt, wenn ich auf Teppich trete ist es ein total naheliegendes und gesundes Verhalten über die Möbel zu klettern. Meine Umwelt aber mag denken ich sei arg verhaltensgestört.

Ein weniger drastisches Beispiel: Das Kleinkind von Freunden fährt viel und gern Auto. Sie guckt, sie murmelt vor sich hin, zeigt und ist vergnügt. Fährt man Nachts mit ihr im Auto brüllt sie wie am Spiess. Eine Verhaltensauffälligkeit? Keineswegs! Der Gleichgewichtssinn nimmt war “ich bewege mich”. Die Augen gucken raus und bestätigen “ich bewege mich”. Schön! Fährt man im Dunklen so melded der Gleichgewichtssinn “ich bewege mich”. Die Augen schauen in ihrem sichtbaren Bezugssystem, dem Auto umher und stellen fest “ich stehe still”. Das Kind brüllt. Es scheint für Menschen sehr schwer zu ertragen sein unsinnige Sinneseindrücke zu erfahren. Willkommen in der Welt von Autisten.

Die Welt der Sinne von Autisten ist ein Kaleidoskop von Problemen. Eine Betroffene aus Lübeck hat daszu einen wunderschönen Artikel geschrieben:

http://autismus-institut-luebeck.de/aut ... nehme.html

Das gibt einem einen faszinierenden Einblick in den Welt von Menschen die keineswegs verhaltensgestört sind, die aber ein Riesenproblem mit der Wahrnehmung ihrer Umwelt haben.

Die Verarbeitung welcher Sinneswahrnehmungen nun genau gestört sind – das ist keineswegs einheitlich. Das ist wohl was Autismus zu einer Spektralerkrankung macht. In manchen Bereichen koennen wir die 'Verhaltensstörung' von Autisten direkt auf einen ‘schadhaften’ Sinn zurueckführen. Wenn mein Sehen Mimik nicht verarbeiten kann, wenn mein Hören Gespräche in einem Raum nicht zu filtern vermag, wenn ich gar das 50 Hertz Brummen der Stromleitungen ständing im Ohr habe, dann bin ich sozial ziemlich benachteiligt. Mein Verhalten im Gespräch mit Mitmenschen wird seltsam erscheinen, gestört, ja behindert gar.

Aber es ist inzwischen denke ich doch verstanden und eindeutig, dass Autismus eine Empfindungsstörung ist keine Verhaltensstörung. Gut beschrieben auch hier:
https://autismus-kultur.de/autismus/aut ... schen.html


Es gibt aber durchaus Autismus auch ohne Verhaltensaffälligkeiten.

Divide et impera! Teile und Herrsche! Vielleicht, weil es viel schöner ist ein Spezialist in einer eigenen Erkrankung zu sein, als jemand, der nur an einem Puzzleteil eines Spektrums arbeitet – vielleicht aber auch, weil Autismus eben den Ruch der Verhaltensstörung hat, wurde eine eigene Erkrankung definiert, die letztendlich nicht viel anders ist als Autismus nur ohne dass die Sinne, die das Verhalten beeinflussen, betroffen sind. Das heist dann “Sensory Processing Disorder” (SPD). Man hat zeigen können, dass bei Gehirnscans teils gleiche, teils andere Teile aktiv sind als bei Autismus. Das definiert nun nicht unbedingt eine neue Krankheit aber es hat jemand zum Spezialisten in SPD gemacht. Ich bedaure diesen Trend immer neue Krankheiten zu erfinden. Ich denke oft liesse sich mit einem ganzheitlicheren Ansatz eher Therapie und Verständnis finden, als wenn alles in seiner Niesche verschwinded.

Festhalten muss man jedenfalls ersteinmal, dass Autismus sicher kaum eine Verhaltensstörung ist. Autismus wird aber sichtbar in (oft eigentlich sinnvollem) Verhalten, welches auf fehlerhafte Sinneseindrücke reagiert.


Regulierung von Sinneseindrücken

Es gibt inzwischen eine Vielfalt an Hilfmitteln für Autisten, um das Hirn in gewissem Grade zu überlisten und für fehlerhafte Sinneswahrnehmungen zu kompensieren. Es gibt Westen, die sich mit Gurten enger stellen lassen. Es gibt flatterige Übergewänder, die gerade das Gegenteil bewirken. Es gibt Steppwesten mit Sand drin statt Daunen, die ein Gefühl von Schwere erzeugen. Da sind nahtlose Socken, für Autisten, deren Fuss / Füsse hypersensorisch sind. Da gibt es Armbänder oder Fussgelenkbänder, die als sensorische Körperbojen wirken, einen extra Sinnesreiz liefern wo in Raum und Zeit eine Hand, ein Fuss grad sind. Autismus hat viel, viel mit den sensorischen Erfahrungen an den Gliedmasen zu tun!

Manch ein Autist erträgt die Sinneseindrücke von einem Glied nur, wenn das ‘gedämpft’, verpackt, herunterreguliert ist. Andere brauchen Sinnesverstärker an manchen / allen Gliedmasen damit das Gehirn die vernünftig registrieren kann. Was mag am Ende dieser Skala liegen? Kann es sein, dass die Sinnerwahrnehmung soweit gestört sein kann, dass das betroffene Glied vollkommen aus der Wahrnehmung ‘herausreguliert’ wurde?

Neurophysiologen haben aufgezeigt, dass unsere Sinne erstaunliche Kapazitäten haben. Der Britisch / Amerikanische Neurophysiologe Oliver Sacks zeigte auf dass ein Mensch mit neurologischer Störungen fast mit dem Geruchssinn eines Hundes konkurieren kann. Die Fähigkeit des Gehirns den Sinn ‘Geruch’ quasi herunterzuregulieren war ausgefallen.
Solche Fehlregulierungen liegen auch dem Autismus zu Grunde. Sehr schön ist das hier beschrieben:

https://autismus-kultur.de/autismus/aut ... schen.html

“Autismus: Wahrnehmung und Reizverarbeitung

[…]
Tatsächlich verlaufen zwei bis drei Millionen Nervenfasern zu Gehirn, und jede von ihnen übermittelt bis zu 300 Impulse pro Sekunde. Unser Gehirn wird also von Millionen Reizen pro Sekunde bombardiert. Nur einen kleinen Teil davon nehmen wir bewusst wahr.

Das Gehirn verarbeitet die sensorischen Informationen, die wir erhalten. Das geschieht ganz ganz automatisch, ohne dass wir bewusst darüber nachzudenken. Das Gehirn ist ständig damit beschäftigt, die unwichtigen Reize auszusortieren, Informationen zu sortieren, gruppieren, zu priorisieren und zu verstehen. Wir reagieren dann mit Gedanken, Gefühlen und Bewegungen, oder einer Kombination daraus.

Schon kleine Abweichungen in der Wahrnehmungsverarbeitung können dazu führen, dass unser Gehirn mit Reizen überflutet wird, Schwierigkeiten hat, sie angemessen zu sortieren, oder zu verstehen. Oder das Gehirn verwirft zu viele Reize, ohne sie weiter zu verarbeiten.

Wichtig zu verstehen ist, dass die Besonderheiten in der Wahrnehmungsverarbeitung nicht durch Sinnesbeeinträchtigungen entstehen. Augen, Ohren usw. funktionieren normal – es ist das Gehirn, das die Reize anders verarbeitet.”

Soweit der Beitrag dazu. Was mag sein, wenn unser Gehirn die sensorischen Eindrücke von einem Glied fehlinterpretiert? Das heist naürlich nicht einfach, dass das betroffene Glied taub wäre. Aber es mag eben sein, dass das Gehirn ein betroffenes Glied immer als etwas ‘externes’, etwas fremdartiges wahrnimmt.




Autismus und BIID

Es ist keineswegs so als ob ich der Erste bin der über die Korrelation zwischen Körperbildstörungen und Autismus nachdenkt. Ich stolperte letztens über eine gute Beobachtung, die dann leider in einem klassischen Beispiel von zwei und zwei ist fünf ended. Hier:

https://micheal65536.wordpress.com/2016 ... disorders/
(19 Dezember 2017)

heist es zu der Bobachtung, dass Körperbildfehlfunktionen und Autismus so oft gemeinsam beobachtet würden:

Correlation with Autism
There also seems to be a significantly higher frequency of Autism and Asperger’s Syndrome both in people with BIID and in therians (around 1 in 10 – I’m not sure what the case is regarding people with GID), suggesting that Autism may be a contributing factor to a predisposition to identity mismatches – although I’m not sure what the exact mechanism behind this would be, it may be that
• people with Autism have a weaker connection to society, and are thus more willing to do things that society would look down upon such as adopting an alternative identity
• people with Autism have a weaker connection to society, resulting in a weaker sense of identity and a greater chance of adopting an alternative identity
• people with Autism do not “reflect” from those around them, meaning that they develop their identity on their own rather than by observing how others perceive them
• the apparent correlation is due only to people with Autism being less held-back by what society would generally think of their identity mismatch and are thus more willing to talk about their identity mismatch

Ok – leider kein Gewinn! Mal wirklich: “Leute mit Autismus haben eine schwächere Anbindung an gesellschaftliche Normen und sind daher freier über ihre Probleme zu reden ...”. Ist der gute Ruf erst ruiniert lebt sichs frei und ungeniert. Hier hat jemand Autismus nicht verstanden. So viele Autisten wollen so verzweifelt gern 'reinpassen', 'dazugehören', 'einfach nur normal' sein. Die Vorstellung, dass Autisten gesellschaftliche Normen am Arsch vorbei gingen und die daher so herzhaft über BIID und Co plaudern koennten ist schon schrill!
Sechs! Setzen!

Aber gut beobachtet! Autismus und BIID treten öfter zusammen auf – viel öfter als dass bei einer moderat seltenen Störung und einer extrem seltenen Erkrankung sein sollte.

Man muss dazu anmerken, dass die Stichprobe natürlich klein ist. Es wäre gewagt nun zu viele Schlüsse aus keinen Zahlen und Korrelationen ziehen zu wollen. Aber es ist schon auffallend wie relativ oft jemand von beiden Problemen erwischt wird.



BIID - eine Bildstörung?

BIID kann durchaus auch andere Sinne treffen. Das würde nun seltsam sein, wenn es darum ginge, dass das Gehirn ein 'Bild' vom Körper gespeichert habe, welches nicht mit dem 'echten' Körper zusammenpasst denn schlussendlich schaut ein blinder Mensch nicht anders aus als ein sehender Mensch.

http://metro.co.uk/2015/10/01/biid-the- ... r-5416685/

Nun mag man argumentieren dass das “Bild vom Körper” eine weniger Bildhafte Darstellung ist, als ich sie hier beschreibe aber es bleibt doch auffällig, dass wir es in dieser Form BIID eben gerade mit einem Sinn zu tun haben nicht mit einem Glied. BIID scheint mir weniger ein Bild vom Körper zu betreffen als vielmehr den Umgang des Gehirnes mit den Sinnen.


Viele Wege und Methoden sind in Mode, um sich mit seinen Sinnen zu befassen. Das macht Sinn! (Pun intended) Wir leben in einer Welt, wo wir von Eindrücken buchstäblich überflutet werden. Es ist nicht überraschend, dass manche Menschen ‘Radikaleindrücke’ wählen, um ihre Sinne zu erfahren – mit einem Stückchen Nylonstoff aus einem Flugzeug springen oder gar noch an einem Gummiband von einer Brücke – das sind sicher auch Versuche seine Sinne richtig wahrzunehmen – ungestört vom ‘weissen Rauschen’ unserer lauten, bunten Welt.
Ja, und wenn man nicht aus einem Flugzeug springen will, dann gibt es ‘Grounding’, ‘Mindfulness’ oder eine Flut anderer Techniken, und Methoden sich seiner Sinne im Hier und Jetzt bewusst zu werden. Selbst einfache Übungen können drollige Effekte hervorrufen. Soll ich mir meines Kontaktes mit dem Boden bewusst werden, mein Verwurzeltsein mit der Erde spühren dann … ist das unsymetrisch.

Der Boden unter meinen Füssen fühlt sich nicht gleich an – natürlich fühlt sich der Boden oder die Socken gleich an aber das Signal, das Bewustsein davon ist schon unterschiedlich. Irgendetwas in meinem Empfinden fühlt sich – in Ermangelung eines besseren Wortes – ‘schief’ an.

Ich mag Krücken. An Krücken laufen das rechte Bein angelupft fühlt sich gut an, fühlt sich gut an solange ich zurückdenken kann. Die ersten Erinnerungen an das wunderbare Gefühl auf einem Fuss und an Krücken gingen noch mit Kroquetschlägern. Tja – ich frage mich manchmal doch, ob ich die Krücken brauche, um einem fehlerhaten Sinneseindruck gerecht zu werden.
Natürlich mag ich auch einfach ein verkehrtes Bild meinerselbst im Kopf haben aber wie oben angeführt – so recht passt das nicht. Und schliesslich ist da noch ein ganz, ganz nützliches Hilfsmittel, welches mich über den Alltag kriegt: Ein Armband. Ich kann ja schlecht einfach allüberall an Krücken auftauchen. Die nächstbeste Lösung fuer mein seelisches Gleichgewicht ist ein geflochtenes Armband, welches grad so lang ist, dass es fest aber nicht einschnürend, um meine rechte Fessel passt. Der stetige, sanfte Drück hilft mir entschieden durch manche Tage zu kommen. Tja – auch da frage ich mich natürlich wozu das denn gut ist. Was macht das? Dient das als Sinnesverstörker – quasi als Körperboje, um meinem Hirn den rechten Fuss bewusster zu machen?


Autismus und BIID sind keine stetigen Zustaende

Und schliesslich scheint es so als ob Autismus tagesformabhängig ist. Viele Autisten, die wenig genug behindert sind, um ihre Reflexionen zu Papier – oder in unserer Welt zu Monitor zu bringen beschreiben 'Episoden', beschreiben 'Tagesform' und 'Stressabhängigkeit'. Mal sind Menschenmengen erträglich, mal nicht. Mal kribbelt die Kleidung unerträglich, mal ists ok. Und mancher Tag laesst sich nur barfuss ertragen, weil Socken und Schuhe unerträglich sind auf der Haut (Ein haeufig beschriebenenes Problem hypersensitiver Autisten) oder weil Socken und Schuhe unerträglich und das Gefühl fuer den Boden – das 'Grounding' abwürgen (ein Problem hyposensitiver Autisten).

Autismus ist bekannt fuer die 'meltdowns' – fuer den Moment wo die Sinneseindruecke ueberwältigend werden, den Moment wo das Hirn keinen Sinn mehr machen kann aus dem was die Sinne melden. Dafuer gibt es inzwischen sogar Sensoren. Es ist also keineswegs so, dass ein Autist immerdar sozal defekt sein muss. Das geht – auch bei schweren Fällen – in Wellen.

Mein BIID ist ganz entschieden tagesformabhängig. Mal komme ich stunden-, tagelang klar, ohne dass ich irgendwie kompensieren muss. Manchmal bin ich tagelang praktisch arbeitsunfähig, weil ich Electronic Surgery Bilder machen muss, Geschichten schreiben oder tagträumen. Und auch von anderen Mitbetroffenen habe ich oft gehört, dass BIID genau wie Autismus nichts Stetiges ist. Das geht in Wellen.


BIID, Autismus und Sex

Von BIID weiss man, dass es das als eine sexuelle Varriante gibt und als eine nicht-sexuelle. Drollig eigentlich! Warum sollte es ein sexbetontes Körperbild geben und ein nicht-sexbetontes?

Auch bei Autismus ist wohl bekannt und dokumentiert, dass es manchmal – aber eben keineswegs immer – ein unangebrachtes Sexualverhalten gibt. In älteren Studien wird dies manchmal unter der ‘allgemeinen Verhaltensauffälligkeit’ von Autisten abgetan aber das ist wohl inzwischen passe. Das sexuelle Verhalten ist letztendlich sehr, sehr beeinflusst von Wahrnehmung. Geht dem Hirn da etwas schief bei der Sinneswahrnehmung, dann ist ein sexuell auffälliges Verhalten naheliegend und sinnvoll – nicht etwa verhaltensgestört. Gestört ist auch hier nur die Wahrnehmung des Betroffenen.

Eigenwillig, dass beide Krankheiten eine sogenannte sexuelle und eine nicht-sexuelle Spielart haben. Das ist natürlich möglich. Aber wenn ich das so interpretiere, dass halt beide Erkrankungen hat eine Reihe von Sinnen treffen können, dann ist es eher logisch, dass die sexuelle Wahrnehmung mal dabei sein mag und mal nicht.


BIID einfach nur Autismus?

Tjaaa... ist BIID einfach ‘nur’ eine Spielart von Autismus?

Ganz so einfach vielleicht nicht aber zumindest sollte man Bereitschaft zeigen Parallelen zu erkunden zu begucken. Man gewinnt erstmal nichts damit zu verstehen, dass BIID vielleicht eine Spielart von Autismus sein kann. Beide Erkrankungen sind unerklärt. Beide Erkrankungen sind unbehandelt. Man hat also nicht plötzlich eine Behandlungsmethode für BIID zur Hand. Auch ist Autismus selbst schlecht verstanden. Das Klischee vom Autisten als dem sozialen Krüppel ist auch in gelehrten Kreisen weit verbreitet. So hilft es dem BIID Erkrankten nicht jetzt nur als eine andere Sorte Freak (un)verstanden zu sein.

Gelingt es aber die sensorischen Ursachen in den Fordergrund zu stellen, gelingt es Bewustsein zu wecken für Autismus \ BIID als ganz normale – ganz gesunde (!) mentale Reaktionen und Verhaltensweisen auf fehlerhate Sinneseindruecke, dann sind wir ein gutes Stueck weiter auf dem Weg Betroffene als normale Erkrankte zu verstehen und nicht als geistesgestörte Freaks.

Wenn jemand dessen Handnerven bei einem Verbrennungsunfall beschaedigt wurden erklaert diese Hand fuehle sich immer seltsam und fremd an, so wird das intuitiv jeder verstehen. Wenn ein BIID Betroffener bei dem die sensorische Fehlfunktion im Hirn versteckt liegt erklaert diese Hand fuehle sich immer seltsam und fremd an so wird man den Kopf schuetteln ob dieses Irrsinns. Davon koennte man ja mal weg kommen. Und vielleicht hilft es, wenn sich herausstellen sollte, dass BIID sooo exotisch denn doch nicht ist.


Manche Parallelen zwischen Autismus und BIID sind halt doch auffallend:

BIID entwickelt sich zunehmend zu einer Spektrumerkrankung – weg von einem klar umrissenen Erkrankungsbild. Das wäre fürwahr seltsam, wenn da einfach nur ein abgespeichertes Selbstbild des Körpers zugrunde läge. Wenn BIID aber eben auch nicht eine Bildstörung ist sondern eine sensorische, dann ist das vollkommen naheliegend dass ganz verschiedene Körperteile und Sinne betroffen sein können.


Autismus ist nicht heilbar. Aber in gewissem Rahmen behandelbar. Mag sich das zum Teil auf BIID übertragen lassen? Wenn eine Hand, ein Fuss, wenn ein Arm oder ein Bein betroffen ist, mag es helfen dem Körper ‘Sinneshilfen’ zu geben wie sie auch bei Autismus gänging sind: Armbänder, Bandagen, sehr enge oder gerade andersherum sehr lockere Bedeckung des betroffenen Gliedes – hierbei geht es ausdrücklich nicht um pretending; hier geht es wirklich darum dem Gehirn eine veränderte Wahrnehmung des betroffenen Gliedes zu geben.

Dazu gehoert aber natuerlich auf Seiten Betroffener selbst auch der Wille die Erkrankung als Erkrankung anzuerkennen und eine Bereitschaft zu zeigen noch zu probieren.

Das scheint oft nicht einfach! Man lebt damit praktisch solange man zurueckdenken kann, macht das irgendwann zu einem Teil seiner selbst und erklärt dann man müsse das Bein ab haben komme da was da wolle. Irgendwann ist das wohl so verinnerlicht als das echt, das wahre, natuerliche ‘ich’ dass da wenig Kompromissbereitschaft besteht auch nur von einer Heilung ohne Skalpell zu traeumen. Und natuerlich ist das nachvollziehbar. Heilung durch Skalpell geht wohl. Andere Methoden, die wirklich BIID heilen hat bisher keiner aufgetan.

Trotzem – sitzt da Morgen frueh, wenn ich aufwache eine gute Fee auf der Fensterbank und erklaert, dass ich mir jetzt einfach nur wuenschen brauche meinen rechten Fuss los zu sein, einfach so komplett mit Alibi und Allem dann freue ich mich riesig! Nach einem halben Jahrhundert geistig behindert
waere ich gerne nur (!) koerperbehindert. Aber wenn da noch eine Fee sitzt, die mir vorschlaegt dass ich einfach noch nie was von BIID gehoert haette und gesund an Geist und Koerper sein sollte – na, dann ist keine Frage welche Fee ich nehme! Man soll eine Erkrankung nicht zum Teil seiner selbst machen! Aber es sieht so aus, als ob es die zweite Fee (bisher?) nicht gibt. Die erste … tja – ich sehe das mit meinem Fuss wie jemand mit Knochenkrebs. Solange der Fuss dran bleibt wird mich der Stress und die Belastung Jahre meines Lebens kosten. Wenn der Preis fuer ein ausgeglichenes, glueckliches (laengeres) Leben ist ein Krueppel zu sein … danke, gern!


Tilman
tilman
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 20811Beitrag tilman »

Ja - einfach mal etwas zum drueber nachdenken.

Obs hilft?
Ich denke es macht zumindest Sinn ein offenes Auge zu haben fuer Parallelen zu anderen Stoerungen.

Gedanken, Ideen, Kommentare dazu - da waer ich schon neugierig drauf.

Vielen Dank,
Tilman
-phorus-
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 20819Beitrag -phorus- »

Hej Tilman, super Beitrag, sehr konstruktiv!
Ich stimme nicht allem zu, aber der Ansatz ist interessant und diskutabel und bietet Erklärungen für bisher schwer zusammenzuschauende Phänomene, die im Zusammenhang mit BIID auftreten.
Um meine Gedanken dazu zu äußern, fehlt mir momentan die Zeit. Ich will es gern nachholen, sobald es geht.
Erstmal Danke und Grüße von Phorus.
tilman
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 20828Beitrag tilman »

-phorus- hat geschrieben:Hej Tilman, super Beitrag, sehr konstruktiv!
Ich stimme nicht allem zu, aber der Ansatz ist interessant und diskutabel und bietet Erklärungen für bisher schwer zusammenzuschauende Phänomene, die im Zusammenhang mit BIID auftreten.
Um meine Gedanken dazu zu äußern, fehlt mir momentan die Zeit. Ich will es gern nachholen, sobald es geht.
Erstmal Danke und Grüße von Phorus.
Dankeschön Phorus, das freut mich sehr.

Nein, nein – ich hatte auch nicht gedacht, dass ich nun zufällig beim Nachmittagskaffee just hinter den Filtertüten den Heiligen Gral gefunden hätte. Bei meinen Gedanken ist sicher vieles dabei was – buchsatäblich – fragwürdig ist.

Ich habe nur manchmal das Gefühl, das wir als Gemeinde etwas dazu neigen unser BIID als exotisch, unerklärlich und geheimnisvoll zu betrachten und jedem gegenüber, der nicht mit Skalpell und Knochensäge kommt, erstmal negativ eingestellt zu sein. Wenn man sich zehn, zwanzig oder vierzig Jahre mit dem Sch*** rumgeplagt hat, kommt leicht ein Punkt wo so ein Tunnelblick entsteht, , wo die benötigte Behinderung (ich tue mich immer schwer damit das als “Wunsch-Behinderung” zu betrachten) persönlichkeitsdefinierend wird.
Da ich vermutlich nicht Morgen früh eine gute Fee im Chirurgenkittel treffe, schaue ich halt ob ich das eine oder andere Puzzlestück BIID besser verstehen lerne, um damit vielleicht Weg zu finden irgendwie klar zu kommen.

Und das geht denke ich am Besten im Gespräch mit anderen. Ich freue mich auf Gedanken, Vorstellungen und Ideen zum Thema.

Tilman
riroba
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 20831Beitrag riroba »

Hallo Tilmann,

vielen Dank für deinen sehr wertvollen Beitrag. Er ermöglichte mir nochmal einen anderen Blickwinkel zuzulassen. Die Gedanken von dir finde ich sehr plausibel. Ich würde mich freuen wenn du dich im Mitgliederbereich freischalten lässt um auch per PN kommunizieren zu können. Gerne würde ich einen Aufruf an alle Mitglieder starten Bodyanker/Körperbojen auszuprobieren und die Erfahrungen zu teilen. Vielleicht könntest du deine Erfahrungen bezüglich der Körperbojen nochmal schildern. Das ist ein simples Mittel und wie ich finde für mich absolut einen Versuch Wert um wenigstens ein wenig Linderung zu verspüren, werde es auf jeden Fall ausprobieren.

LG Riroba
Manuel
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 20853Beitrag Manuel »

Hallo Tilman,

auch von mir vielen Dank für die Denkanstösse.
Die Idee mit der Körperboje finde ich sehr spannend. Als QS-Pretender ist der Rollstuhl ja schon quasi so etwas ähnliches. Aber ich kann gut nachvollziehen, dass das Armband an der Fessel ebenfalls für beruhigende Impulse (hmm, ist das nicht ein Widerspruch in sich?) sorgt.

LG
Manuel
tilman
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 20942Beitrag tilman »

Grad entsprang aus einer anregenden Debatte um die Idee ob BIID 'Bildstoerung'oder 'Wahrnehmungsstoerung' ist ein recht interessanter Gedanke, den ich doch teilen wollte:

Frauen sind was Schmerz- und Tastempfinden betrifft deutlich besser 'vernetzt' als Maenner mit erheblich mehr Sinnesrezeptoren, die besseres Tastempfinden aber auch hoeheres Schmerzempfinden bedingen. Mag die 'robustere' (bessere) Sinneswahrnehmung einhergehen mit einer geringeren Anfaelligkeit fuer Krankheiten, welche von Stoerungen der Sinneswahrnehmung ausgeloest werden? Sowohl Autismus als auch BIID scheinen geschlechtlich entschieden nicht gleichverteilt zu sein.
Zumindest ein bedenkenswerter Umstand, wie ich fand.
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marcit
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 21024Beitrag marcit »

Interessant ist auch folgender Punkt: Sowohl bei BIID wie auch Autismus gibt es einen Zusammenhang mit Homosexualität:

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/ful ... 2/aur.1892
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marcit
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 21026Beitrag marcit »

Es gibt auch einen Zusammenhang von Autismus mit Fetischismus. Wenig erstaunlich, sind doch viele Autisten eher auf Dinge wie auf Personen fixiert.

Auch bei BIID fällt manchmal die Abgrenzung schwer, was noch Fetischismus ist und was schon BIID. Der Übergang ist fliessend.
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marcit
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Re: BIID und Autismus

Beitrag: # 21027Beitrag marcit »

Wenig erstaunlich gibt es in der Folge auch einen Zusammenhang zwischen Autismus und Transsexualität.

https://www.2passclinic.com/verbindung- ... e/?lang=de
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