Experiment für kreise(l)nde Gedanken

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Trottola
Beiträge: 1
Registriert: Mo 3. Sep 2012, 19:05

Experiment für kreise(l)nde Gedanken

Beitrag: # 5908Beitrag Trottola »

Nehmen wir an, es wird genmedizinisch möglich, amputierte glieder zum nachwachsen zu stimulieren. Die technologie reift so weit aus, dass das nachgewachsene glied mit grosser sicherheit innerhab etwa eines jahres zum vollwertigen ersatz des ursprünglichen wird. Die amputation wird zur alltäglichen behandlung etwa von arthrose, menisken, komplizierten brüchen und schwererer erkrankungen von arm und bein.
Menschen mit amputationen werden alltäglich, prothesen kaum getragen,weil sie den wachstumsprozess behinderten. Damit fällt bald auch die scheu, die amputation zu zeigen.
Schicksalhaft endgültige, unwiderbringliche einschränkungen werden zum vorüberhenden, bloss technisch und nicht mehr psychisch und sozial zu bewältigenden zustand. Ethische und rechtliche barrieren gegenüber freiwilligen, medizinisch nicht indizierten amputationen fallenbald ganz weg. Wir alle können das mal ausprobieren.
Wie entwickelte sich BIID?
Die frage stellte sich in zweierlei hinsicht:
Brächte das vorübergehende experiment alleine schon heilung? Genügt es uns , einmal ein jahr ohne beine gelebt, zwei kurze stümpfe gefühlt, bewegt, gepflegt, gezeigt zu haben, damit der wunsch endgültig verblasst, beinlos zu sein? Heilt das gefühl, mich beim schminken mit dem stumpf auf dem waschbeckenrand abgestützt zu haben, mich monatelang, ohne arme, haben füttern, anziehen, frisieren zu lassen - heilt das für immer vom wunsch, das zu erleben und so zu bleiben? Wie schnell werde ich es leid, am boden zu robben, mich in den rollstuhl heben zu lassen, von kindern angestarrt zu werden, nicht schnell auf den bus springen, nicht selber die zeitung umblättern, eine telefonnummer wählen, die zähne putzen zu können? Würden wir, wie oft würden wir das alles ausprobieren? Wäre es nicht auch für uns ein gefühl der befreiung, die krücken, jahrelange begleiter, wieder weglegen zu können?
Und weiter, zum zweiten, grundsätzlicheren: der anblick einer amputation, eines kurzen beinstumpfs etwa, würde weitgehend unspektakulär, er wäre, weil alltäglich und vorübergehend, etwa so bewegend und erregend wie ein gipsbein. Das gefühl der endgültigen veränderung meines körpers und der bzw. meiner irreversiblen hilfsbedürftigkeit wäre weg, alles appellative verschwunden. Welchen einfluss hätte diese wahrnehmungsveränderung bei uns BIID's selbst und insbesondere der veränderte blick von non-BIID's - auf uns, auf unseren wunsch, auf unsere eigene erregung? Kann eine oberschenkelamputation noch erregend sein, wenn sie ein vorübergehender zustand, ein jederzeit zu unternehmendes experiment wäre? Wie verändert sich das gefühl, keinen berg mehr besteigen zu können, wenn es kein "nie mehr" ist? Was bleibt, wenn ich als einbeinige frau nur noch die frage provoziere, mit wie lange ich noch zu rechnen hätte? Würde mein amputierter zustand noch interesse wecken, vermöchte er noch zu erregen? Und wenn er andere nicht mehr zu erregen oder zu bewegen vermöchte - wäre eine amputation dann noch wünschenswert? Das wirft die Frage auf nach der Rolle, die ein evtl. wunsch nach selbstbestrafung und/oder appell bei BIID spielt.
Würde BIID heilbar oder träte es gar nicht mehr auf?
caroline
Beiträge: 402
Registriert: Do 31. Mai 2012, 11:11

Re: Experiment für kreise(l)nde Gedanken

Beitrag: # 5923Beitrag caroline »

Aber müsste man sich dann nicht fürchten darauf angesprochen werden, wann der Körperteil wieder nachgewachsen ist, und wie rechtfertigt man sich dann, wenn man sich wohlfühlt so wie man aussieht?
Dann ist man doch wieder in der Situation wie jetzt.
Jimmy
Beiträge: 432
Registriert: Do 13. Okt 2011, 14:56

Re: Experiment für kreise(l)nde Gedanken

Beitrag: # 5929Beitrag Jimmy »

Hi Trottola, nehmen wir an, daß die Entwicklung in der Gentechnologie es tatsächlich schaffen wird, auch größere Extremitäten nachwachsen lassen zu können, was meiner Meinung nach noch mind. 50 Jahre dauern wird und bitte nicht mit Tranplantationen zu verwechseln ist, die übrigens auch bisher noch nicht wirklich befriedigende Ergebnisse gebracht haben, während die Prothetik atemberaubend voranschreitet; wird all dieseinen wirklich von BIID betroffenen nicht von seiner fundamentalen Sehnsucht abbringen , endlich seiner im Gehirn abgebildeten Körperform zu entsprechen. Mag sein, daß neuartige Verfahren im therapeutischen z.B. Durch Hypnose oder Spiegeltherapie eine scheinbare Lösung der Problematik erreichen werden, an eine wirkliche Lösung durch therapeutische oder Neurologische Eingriffe glaube ich ebensowenig, wie im psychotherapeutischen Berreich ( Medikamente) BIID ist für mich ein tiefverwurzeltes ( genetisches) multifunktionales Geschehen, daß Ausdruck unserer "SEELE " ist und daher unsere Identität ausmacht. Es ist genauso fundamental, wie das Bedürfnis, seinen Durst oder Hunger zu stillen oder einen anderen Menschen zu lieben.
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