PhD-Arbeit zu BIID

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PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17178Beitrag PhDResearch »

Liebe Mitglieder dieses Forums,

ich promoviere innerhalb eines PhD Studiengangs im Bereich „Freier Kunst“, wobei sich die Promotion aus einem wissenschaftlichen und einem praktisch/künstlerischen Teil zusammensetzt. Im wissenschaftlichen Teil meiner Doktorarbeit schreibe ich aus einer kultur- und medienwissenschaftlichen Perspektive eine „Genealogie der medizinischen Konstruktion von BIID bzw. Xenomelie und Transability“ sowie eine „Mediengeschichte der Subjektivierungsprozesse“.

Das klingt erstmal sehr fachsprachlich und befasst sich grob herunter gebrochen mit Folgendem: Wie wurde BIID oder Xenomelie als eine medizinische Kategorie sowie Transability als intersubjektives Phänomen, Körperbewusstsein oder Trans-Zustand konstruiert? Konstruiert meint dabei nicht, dass das Syndrom in irgendeiner Form „erfunden“ oder ähnliches wäre, sondern wie seine Symptomatik interpretiert und in Sinnzusammenhänge übertragen wurde und wird. Also: Wie wurde der Drang nach einer körperlichen Beeinträchtigung zu unterschiedlichen Zeiten beschrieben, gedacht, erklärt oder vorgestellt, was erzählen wiederum diese Interpretationen über Körperdiskurse und die Vorstellungen von Körperlichkeit und wie erzählen Medientechnologien und vorherrschende Körperbilder an diesen Geschichten mit? Und darüber hinaus: Welchen Einfluss kann vor allem die neurowissenschaftliche Untersuchung von BIID auf die Vorstellung von Verkörperungen und körperlicher Vollständigkeit zukünftig haben?

Beispielsweise kann man die Diagnostik der „Transsexualität“ oder des „Hermaphroditismus“ im letzten Jahrhundert auch als Bestandteil der medizinischen Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit verstehen. Heute werden (zumindest in weiten Teil der Wissenschaften) Geschlecht oder Gender nicht mehr eine starre Kategorie gedacht und von transidenten Menschen auch nicht mehr erwartet, dass sie sich zu eindeutigen Geschlechtern bekennen müssen. In der Historie der Diagnostik von BIID zeigt sich hingegen sehr deutlich, wie aus der unterschiedlichen Gewichtung oder Hervorhebung seiner einzelnen Symptome unterschiedliche „Störungen“ und dementsprechend klassifizierte „Patienten“ hervorgebracht wurden. Aus „perversen Fetischisten“ (von Krafft-Ebing, 1886) wurden apotemnophilie Menschen mit einer Sexualitätsstörung (Money, 1977), wurden „identitätsgestörte“ Menschen mit BIID (First, 2005) und anschließend Menschen mit einer neuronalen Dysfunktion im SPL und einem daraus resultierenden Körperbewusstsein (Brugger, 2013). Dieser Wandel hat natürlich nicht nur mit medizinischem Wissen, Technologien oder dem jeweiligen Forscher und seiner Form der Befragung zu tun, sondern immer auch mit dem Wissen, Vorstellen und Wahrnehmen von Subjekten und Körpern beziehungsweise von Subjekten als Verkörperungen.

Ich würde Ihnen gerne diesbezüglich aber auch zu manchen Punkten, die sich mir aus der medizinischen Literatur nicht erschließen, einige Fragen stellen. Mich würde zum Beispiel sehr interessieren, welchen Einfluss diese Bezeichnungen und Label auf Sie persönlich oder als Gruppe, aber auch auf das Selbstverständnis ihrer Symptomatik und Körpererfahrung haben. Darüber hinaus würde mich interessieren, welche Rolle oder Einfluss Medien und Medientechniken hierbei einnehmen. Ohne das Internet und Foren wie dieses, hätten Sie sich wahrscheinlich nicht finden können. Aus medienwissenschaftlicher Perspektive schreibt unser Schreib- und Werkzeug immer an unseren Gedanken mit. In der Konstruktion von „Transability“ beziehe ich mich ansonsten hauptsächlich auf die auf transabled.org geführten Diskussionen und die Arbeiten von Jenny Davis.

Ich bin kein Mediziner, meine Arbeit trägt also nicht unbedingt zu einer Ursachenforschung bei. Ich hoffe jedoch sehr, einer Untersuchung aus der Perspektive der sozialen Neurowissenschaften, wie es Peter Brugger in einem Paper von 2013 forderte, Impulse liefern zu können. Ansonsten nehme ich eine recht detaillierte Analyse der fast ausschließlich englischsprachigen medizinischen Literatur vor. Da ich auf Deutsch schreibe, könnte dies für den ein oder anderen von Ihnen vielleicht interessant sein.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir bei meiner Forschungsarbeit helfen würden und mir die ein oder andere Frage beantworten könnten.
-phorus-
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17182Beitrag -phorus- »

Moin,
ich verstehe in etwa, was Du sagen bzw. fragen möchtest. Interessant und schwierig zugleich. Dickes Brett jedenfalls.
Mir scheint, da ist aktuell viel im Fluß. "BIID" wird auch nicht der letzte Begriff für das Phänomen sein, mit dem wir hier umgehen. Sicher wird unter den Mitgliedern dieses Forums - ähnlich vergleichbaren Gruppen - in großen Fragen wie Details kaum Einigkeit bestehen oder herzustellen sein.
Es ist wichtig zu berücksichtigen: Wer wird wann was und von wem gefragt und warum?
Beispiel: um einer Behandlung im Sinne der Vorstellungen vieler BIID-Betroffener erreichen zu können, bedarf es einer offiziellen Anerkennung von BIID als "Krankheit". Ist diese erst einmal erreicht, müsste es eigentlich dann ab sofort darum gehen, die durch den Begriff "Krankheit" herbeigeführte Stigmatisierung wieder loszuwerden.
Ein Blick über den Tellerrand tut umgekehrt hier sicherlich auch gut. Die meisten Menschen hier suchen jedoch vor allem nach Hilfe (im weitesten Sinne).
Tja, also - frag doch!
Bracemarc
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17183Beitrag Bracemarc »

Hallo, ich finde den Denkansatz, sich aus einer völlig anderen, als der medizinischen und psychologischen Perspektive heraus BIID zu nähern, recht interessant. Zumal sich dies im Jahre 2013, aus der Sicht der Sozialwissenschaften heraus, bereits schon einmal ergab. Damals als Masterarbeit an der Fakultät Sozialwissenschaften der Uni Bochum.
Es ist vielleicht aus Ihrer Arbeit heraus, nicht unbedingt die Hilfe oder Bewältigungsstrategien im engeren Sinne für uns Betroffene zu erwarten, jedoch tragen derartige wissenschafftlichen Arbeiten meist entscheidend dazu bei, eine höhere Akzeptanz des Themas in Wissenschaft und Gesellschaft zu erreichen und zeigen, dass unsere " Erkrankung " aus den Kinderschuhen des Nieschendaseins heraus erwacht ist. Dies kann zumindest auf dem indirekten Wege der wissenschaftlichen Veröffentlichung dazu beitragen, dass die Vehemenz der Notwendigkeit wesentlich gestärkt wird, BIID in die internationalen Klassifikatiomsverzeichnisse als Erkrankung aufzunehmen, um damit überhaupt erst einmal die entscheidende Voraussetzung medizinischer Behandlung zu schaffen. Denn es geht hier um knallhartes Leid der Betroffenen, über Jahrzehnte hinweg und fast tagtäglich, ohne jegliche adäquate und vor allem legale Behandlungsperspektive.
Es gibt eine ganze Reihe - auch seltener - chronischer Erkrankungen, bei denen die Ursachen bekannt oder unbekannt sein mögen. Egal ob man heilen kann oder zumindest das Leid lindern kann - immer erfolgt die Anerkennung und Klassifizierung der Erkrankung, was im Moment in unserem Falle noch vorenthalten scheint. Dies wohl nicht zuletzt, wegen diskussionswürdiger Fragen der Medizinethik bezüglich aller denkbaren Behandlungsalternativen.
Ich möchte mich meinem Vorredner anschließen: Wir sind für Ihre Fragen jederzeit offen.
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Jacky Sully
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17185Beitrag Jacky Sully »

Er hat doch schon Fragen gestellt... nur zu also!

Da bin ich gerne auch mit von der Partie, nur nicht jetzt gerade. Evtl ergibt sich in den nächsten Tagen Gelegenheit um Muße und Zeit dafür zu finden.

LG und Danke für die Anfrage. Ich finde diese interessant und wichtig!
Truth doesn't have to be liked. It only has to be spoken. Speak it out. The Truth may hurt you, but it will set you free.
Amish Tripathi
Bracemarc
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17187Beitrag Bracemarc »

... stimmt schon, Jacky Sully, sorry bin leider momentan etwas skeptisch ...

Mich würden im Vorfeld jedoch noch einige Fragen interessieren, die im Eingangsstatement "etwas kurz" weg gekommen sind, bevor wir hier im öffentlichen Teil des Forums Antworten versuchen:

Welche persönliche Beziehung haben Sie zu BIID, wie ist Ihre persönliche Einstellung dazu?
Wie sind Sie als Doktorand(In?) der Freien Kunst auf die Themenwahl "BIID", einem eher randständigen und noch wenig bekannten Medizin- und Psychologiethema gekommen? Ein Promotionsthema, mit dem man sich eine beträchtliche Zeit seines Lebens beschäftigt, überkommt seinen Bearbeiter ja nun nicht gerade "unfreiwillig".
Oder anders und mit der Tür ins Haus gefragt:
Kennen Sie in Ihrem Umfeld jemanden mit BIID oder haben Sie evtl. selbst diese Symptomatik und promovieren über dieses Thema mglw. aus eigener Betroffenheit und daraus folgenden Interesse?
PhDResearch
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17191Beitrag PhDResearch »

Lieber Bracemark,

ich meine Ihre Skepsis erstmal gut zu verstehen, vor allem im Bezug auf meine Promotion in „Freier Kunst“.

Ich habe Medienkunst studiert, arbeite aber auch als Wissenschaftler.In der Tat beschäftigen sich die meisten Promotionen meiner Kommilitonen mit Fragen der Kunstwissenschaften. Ich falle da sehr aus dem Rahmen, wenn ein zentraler Aspekt meiner Arbeit sich dennoch mit Fragen der Darstellung und Representation befasst, nämlichen dem Einfluss medizinischer Bilder, aber auch Youtube-Videos oder Foren wie diesem auf die Art und Weise, wie BIID verhandelt wird.

Warum ich mich entschloss meine wissenschaftliche Arbeit zu BIID zu schreiben, ist nicht ganz so leicht zu beantworten. Ich habe mich in den letzten Jahren sehr ausführlich mit dem Körperdiskurs in den Geistes- und Kulturwissenschaften befasst. Also wie werden Körper und Körperlichkeit produziert, diszipliniert und normiert? Auf BIID wiederum stieß ich erstmals 2005 oder 2006 durch die BBC-Dokumentation Horizons, wobei es die Bezeichnung BIID damals noch nicht gab. Mich interessierte das Thema, da mir die Parallelen zu Transidentität sofort auffielen und ich einige transidente Bekannte habe. Intensiver beschäftigte ich mich jedoch erst Jahre später mit BIID, als ich mich entschloss zu promovieren, und mir das Thema wieder einfiel. Nach einer ausgiebigen Recherche stellte ich fest, dass sich hier sehr dringliche Fragen auftun – und zwar nicht nur im Interesse der Betroffenen, sondern auch darüber hinaus. In diesem Sinne: Nein, ich habe kein BIID und ich kenne auch keinen BIID-Betroffenen persönlich.

Wenn Sie mich also fragen, warum ich mich so lange damit beschäftigt habe: Nun, ich glaube, das es wichtig ist. Wichtig, dass es als ein Körperbewusstsein oder Trans-Zustand verstanden wird, der keine „Gesellschaftskrankheit“ ist, sondern nachweislich ahistorisch. Aber auch wichtig darüber hinaus, weil seine Diagnostik zentrale Fragen aufwirft zur Vorstellung körperlicher (Un)Vollständigkeit, aber auch wie Subjekte als Verkörperungen interpretiert werden.

Falls Ihnen meine Fragen im öffentlichen Teil des Forum nicht recht sein sollten, gäbe es die Möglichkeit auf einen separaten, semi-öffentlichen Thread? Das Forum an sich geht mich selbstredend nichts an und ich werde Sie auch auf keinen Fall zu irgendwelchen illegalen Praktiken befragen.
-phorus-
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17203Beitrag -phorus- »

Also nochmal: das klingt gut und interessant und sinnvoll.
Die bereits gestellten Fragen sind allerdings schon so komplex, dass ein Antwortversuch schon für eine leicht zu einer mehrseitigen Abhandlung führen kann, bei der ich nicht weiß, wo ich anfangen und wo ich aufhören soll. Und dafür habe ich gerade nicht genügend Zeit.
Nun fällt mein Leiden, wie viele wissen, selbst hier etwas aus dem Rahmen, wo uns hier doch überhaupt eint, dass wir alle ziemlich aus dem Rahmen fallen. Konzepte (und deren Geschichte) hinter dem/n Phänome/en auszumachen, ist mir daher sehr willkommen, erleichtert dies u.U., Verbindendes wie auch Unterschiede aufzuspüren und zu klären.
Ich habe nur gerade den Eindruck: die Scheine sind so irgendwie zu groß. Geht das evt. in kleinerer Münze? Stück für Stück? - Ich meine: WIR sollen die Arbeit ja nicht schreiben...
PhDResearch
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17212Beitrag PhDResearch »

Ich will natürlich versuchen meine Fragen zu konkretisieren und in thematischen Blöcken zu fassen, wobei Ihre bisherigen Postings bereits auf einige hinweisen.

Man kann die Bezeichnung BIID durchaus kritisch sehen, weil sie impliziert, dass es sich hierbei um eine psychische und/oder psychiatrische Störung der Identität handelt. Eine solche Bezeichnung bringt ja auch bestimmte psychopathologisierende oder stigmatisierende Effekte mit sich. Gleiches gilt für das DSM, das ja bereits gemäß seines Titels ein standardisierendes Klassifikationssystem für „mental Disorders“ ist. Andererseits ist BIID eine Bezeichnung, die ein Körperempfinden beschreibt und ihm einen Namen gibt, wodurch sich Betroffene mit diesem identifizieren und – bspw. als Suchbegriff verwendet – sich gegenseitig finden und erkennen können.

In den wissenschaftlichen Studien zu BIID fällt jedoch auf, dass bisher keine Anzeichen für eine (rein) „psychische Störung“ bei Wannabes vorliegen. Zuweilen werden psychische Komponente zwar vermutet, in den den meisten Studien verschwinden jedoch geradezu alle Befragten hinter den Normwerten. (Bitte korrigieren sich mich, wenn ich falsch liege.) Während transidente Gruppen durchsetzen konnten, dass die Transidentität nicht mehr als GID, sondern als Gender Dysphoria im DSM gelistet wird, ist mir aufgefallen, dass viele Betroffene hier, aber auch auf transabled.org, den Drang nach einer körperlichen Beeinträchtigung als psychische Störung bezeichnen.

Meine ersten Fragen wären also:
1.Verfolgen Sie den wissenschaftlichen Forschungsstand?

2. Spielen die genannten Implikationen in der Bezeichnung BIID und um was für eine Störung es sich dabei handelt (psychisch, psychiatrisch etc) für Sie überhaupt eine Rolle? Oder ist das eine Frage, die sich für Sie erstmal nicht stellt, solange BIID nicht im DSM und ICD gelistet wird?

3. Vertreten andere Foren oder Gruppen von Betroffenen andere Positionen hierzu? Auf transabled.org wurde bspw. der Begriff Xenomelie vehement abgelehnt. Biid-info.blogspot hingegen vertrat wiederum eine ganz andere Meinung. (Sicherlich hat hier jeder eine individuelle Ansicht zu.)

4. Hat die Bezeichnung oder Identifikation mit der Bezeichnung BIID auf Sie persönlich Effekte gehabt, bspw. in der Manifestation des Drangs - abgesehen von der Möglichkeit, andere Betroffene oder eine Gemeinschaft finden zu können?

5. Und wie stehen Sie eigentlich zu dem Begriff Wannabe?
-phorus-
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17215Beitrag -phorus- »

Der Begriff BIID ist nicht unangefochten, denn er betrifft nur einen Teil der so bezeichneten Gruppe einigermaßen. Im Übrigen läge, wie schon vorgeschlagen, analog zu Genderdysphoria der Begriff Bodydysphoria nahe und wäre ggf. erfolgreicher hinsichtlich DSM-Eintrag.
Ich kenne übrigens hier niemand, der den hier beschriebenen Drang als psychische Störung ansieht. Wir diskutieren gern darüber, ob es eine Krankheit ist (was auch immer "Krankheit" ist). Einigen kann man sich evt. darauf, dass es krank macht...
1. Ja. Das BIID-Leiden wird von den Betroffenen in aller Regel reflektiert, die Besonderheit als Besonderheit bewusst wahrgenommen. Wo auch immer eine "offizielle" Veranstaltung zu dem Thema ist, sind Betroffene in beachtlicher Zahl beteiligt. Das wird auch von Forschern wohlwollend verwundert registriert. Es ist bisher keine Studie erschienen, an der nicht aktiv und teilweise hingebungsvoll mitgearbeitet wurde von Betroffenen. Ist übrigens http://www.vfsk.eu/ bekannt?
2. das ist individuell sehr verschieden
3. ebenso. Nur gibt es auch einen Pragmatismus, der das Problem der Bennenung nicht an oberster Stelle sieht. Im übrigen: derartige Internet-Gruppenzugehörigkeiten überschneiden sich. Die Zustimmung oder Ablehnung in einer der Gruppen sagt nicht all zu viel aus.
4. Kann ich für mich nicht sagen, aber dass es überhaupt einen Namen hat, die Entdeckung, nicht verrückt oder nicht allein zu sein - das haben schon einige Leute als wohltuende Erfahrung beschrieben.
5. Wirkt auf mich irgendwie altmodisch :-) ... es wurde auch der Begriff "needtobe" vorgeschlagen bzw. verwendet. Denn es geht nicht um Wünsche, sondern um ein tief innen sitzendes Bedürfnis.
Bracemarc
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17232Beitrag Bracemarc »

Mit meinen obigen Fragen wollte ich keineswegs provozieren. In der Gruppendiskussion hat sich jedoch herausgestellt, dass es uns keineswegs unwichtig ist, wer über BIID und dessen Inhalte schreibt und was mit welchem Ziel geschrieben wird (irgendwo transportiert jeder Schreiber - zumindest zischen den Zeilen - auch seine eigene Einstellung, Zustimmungen, Verständnis oder Ablehnung zu dem Thema, bis hin zu offen voyeuristischen und stigmatisierenden Haltungen). Hier sind in der Vergangenheit einige wesentliche Fehler, insbes. in der Öffentlichkeitsarbeit zustande gekommen, die, wenn einmal gesagt oder geschrieben kaum wieder gut - geschweige denn rückgängig zu machen sind. Daher sind wir natürlich an einer sehr objektiven Diskussion im Sinne der Betroffenen interessiert.

Leider ist schon das Gegenteil passiert, dass zwar gut gemeinte, aber wenig hilfreich ausgeführte Presse- und Fernsehauftritte Schaden verursacht haben. Dies mag zuweilen auch bis hin zu bestimmten Äußerungen in wissenschaftlichen Arbeiten reichen. Mir ist es daher ein besonderes Anliegen, nochmals auf die äußerste Sensibilität des Themas hinzuweisen. Ein Thema, was in der Gesellschaft kaum angenommen ist und auch nicht zu erwarten ist, dass es all zu wohlwollend angenommen wird. Dies wissen wir Betroffenen sehr genau und gehen im privaten Umfeld entsprechtend sensibel damit um - bis hin zum jahrzehntelangen "Doppelleben" - mit all seine Verwerfungen und psychischen Konsequenzen.

Uns Betroffenen ist die "Idiotie" unseres Wunsches absolut bewußt, viel mehr als jeder psychisch Kranke je eine Einsichtsfähigkeit in seine Erkrankung finden würde. Genau das macht es so dramatisch, an BIID leiden zu müssen. Es geht nicht allein um den "völlig absuden" Wunsch, aus einem medizinsch nachweisbar gesunden Menschen einen Schwerbehinderten zu machen, sondern es geht weithin auch um das psychische Leid, was aus dieser jahrelangen Dilemmasituation heraus erwächst.

Der Leidensdruck der Betroffenen ist oft so stark, dass man sich kaum noch auf seine Arbeit oder die momentane Situation konzentrieren kann, ohne dass einem Behinderten-Bilder durch den Kopf schwirren, man oft schlaflos, depressiv, reizbar, unausgeglichen, unkonzentriert uvm. ist, nur weil man den Spagat und Zwiespalt zwischen dem äußerlich gesunden, aber dem fast ständig anwesenden gefühlsmäßig behinderten Körper, kaum vernünftig und alltagstauglich in den Griff bekommt.

zu 1. Ja, bin aber nicht voll umfänglich zufrieden. Wie Sie selbst beschrieben haben, kommt das, was heute mit dem Begriff BIID überschrieben wird, aus der absoluten "Schmuddelecke" psychischer Diagnosen. Ein Fetisch - pervers noch dazu - und zudem noch zu einer Behinderung hin bezogen. Schlimmer geht eine gewollte Stigmatisierung, Herabwürdigung und beabsichtigten Ausgrenzung als "heilsame Methode" kaum noch. Die Methodik ist in den 1970iger Jahren zwar verfeinert und subtiler geworden, indem man nun zu der Kategorie der "Philien" subsumiert, aber immer noch den sexuellen Bereich völlig überbetont, der heute nachweislich nicht die entscheidende Bedeutung hat, die ihm so oft zugewiesen wird. Es gibt eine nicht unbedeutende Zahl von Betroffenen, die dies belegen, indem sie mit ihrem BIID keine sexuellen Ziele verbinden.
Der heutigen Forschung kommt der unbestreitbare Verdienst zu, erstmals (hirn)organische, neurologische und genetische Ursachen einzubeziehen und somit einen entscheidenden Schritt weg, von der reinen Geisteskrankheit getan zu haben. Allerdings orientierten sich die Anfänge diese Forschung zur neuronalen Dysfunktion des SPL viel zu sehr am reinen Amputationsphänomen. Damit kann man evtl. noch halbwegs erklären, warum sich nicht wenige BIIDler eine Querschnittslähmung und ein Leben im Rollstuhl wünschen. Der Erklärungsansatz einer Dysfunktion des SPL versagt aber komplett bei allen übrigen ersehnten körperlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen wie z.B. Erblindung/starke Sehbehinderung uvm. Einer der geistigen Väter dieses Forschungsansatzes, sah sich bereits genötigt einzuräumen, dass er die Dimension hinter BIID absolut verkannt hat, indem er QSL-BIIDler in seinen Betrachtungen völlig außen vor ließ, was allein aufgrund der zahlenmäßigen Größe dieser Gruppe auffällt. Letztlich konzentrierte man sich zu sehr nur auf dieses Amputationsphänomen, was dazu führte, dass QSLler von den Forschungsprojekten zurück gewiesen wurden. Dies hat die Forschung bereits erkannt und arbeitet mit verschiedenen Gruppen international in verschiedene Richtungen, konzentiert sich jedoch der Systematik wegen zunächst auf die beiden großen Gruppen Amputation bzw. Lähmung.
Was bringt also einen körperlich durchschnittlich gesunden Menschen dazu, keinen sehnlicheren Wunsch zu haben, wie an unsichtbaren Ketten gezogen, eine schwere Behinderung gleich welcher Art zu bekommen, wenn der s.g. "Krankheitsgewinn" bzw. "Narzissmus" als Ursachen ausfallen? Und wie geht man in Anbetracht des unsagbaren seelischen Leids der Betroffenen damit um, solange die Ursachen der Erkrankung noch im Verborgenen liegen? Was kann, was darf man tun? Was ist ethisch vertretbar in Anbetracht des Leids? Wie kann man den Betroffenen helfen, ihren Alltag zu gestalten, ohne ständig von BIID-Schüben heimgesucht zu werden? Gibt es gangbare Kompromisswege? Ist es noch haltbar, den Betroffenen die Anerkennung der Erkrankung zu versagen, durch das "Scheinargument" noch nicht ausreichender Forschungsergebnisse? Viele Erkrankungen deren Ursachen noch im Dunkel liegen sind wenigstens als solche anerkannt und werden oft mehr schlecht als recht behandelt. Stecken hier nicht die Verantwortlichen den Kopf in den Sand und betreiben "Vogel Strauß Politik", angesichts der auf der Hand liegenden Behandlungsmethoden? Ich kann mich hier des Eindruckes nicht frei machen, dass man lieber in Kauf nimmt die Betroffenen leiden zu lassen, als sich den ernsten ethischen Fragen zu stellen - denn es ist ja nicht das eigene Leid der Entscheider, um das es hier geht.
Der Weg, Transgender und BIID-Betroffenen in einer Überkategorie zu subsumieren scheint fast auf der Hand zu liegen und wird von den BIID-Betroffenen gern vergleichshalber benutzt, da die Einen ihre OP-Lösung bereits erreicht haben, wir jedoch noch nicht. Dies obwohl vorbenannte Operationen bei den Transgendern gewollt mit schweren Verstümmelungen der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale einher gehen (dort ist man weniger "zimperlich", obwohl sich dabei die gleichen ethischen Fragen stellen).

zu 2. Der BIID-Begriff liegt mir persönlich ohnehin nicht. "Disorder", wer läßt sich schon gern als "gestört" bezeichnen. Ist das schlussendlich nicht die gleiche Stigmatisierung und Herabwürdigung, die bereits die "perversen Fetischisten" des ausklingenden 19. Jahrhunderts über sich ergehen lassen mußten, nur eben jetzt viel subtiler vorgetragen?
Aufgrund der überaus großen Sensiblilität des Themas, nicht zuletzt zum Schutz der Betroffenen selbst, tut man sicher gut daran, den entgülitigen Begriff zu Eintragung in die internationalen Verzeichnssse, an den üblichen Bildungsregeln der Benennung von Erkrankungen möglichst wertneutral auszurichten, z.B. name des erstbeschreibers-Syndrom, denn es ist ja sicher der klassische Fall des Syndroms, oder z.B. Physikal Disability Syndrom (kurz: PhDS, falls es das nicht schon gibt) oder Morbus xyz..., jedenfalls etwas gewollt Neutrales.
Zumindest für meinen Geschmack spielt es eine beachtliche Rolĺe, unter welchem Begriff die Erkrankung einmal firmieren wird. Da man den Begriff an vielen Stellen wird parrat habe müssen, ohne sich sofort als psychisch Krank outen zu müssen.

zu 3. Ich glaube, allen Betroffenen hat es gut getan, diese 4 Buchstaben BIID zum ersten mal zu lesen. Die Erkrankung hatte damit erstmals eine wissenschaftliche Benennung, die uns aus der Schmuddelecke irgendwelcher sexual abartiger und gestörter "Monstermenschen" heraus holt. Man muss es schon so sehen, wie es ist: BIID ist inzwischen schon zu einem recht eingeführten und zum "feststehenden" Begriff geworden. Eine nochmalige Änderung wird bestimmt nicht leicht. Der Begriff Xenomelie ist bei uns kaum gebräuchlich, da er ein anderes Krankheitsgeschehen beschreibt, als das, um was es hier geht. Xenomelie meint das Fremdartigkeitsgefühl eines Körperteiles, was es zu entfernen gilt. Mglw. durch einen Unfall mit Lähmungsfolge, Schlaganfall o.ä. initiiert. Es geht also darum, ein nicht mehr funktionstüchtiges, gefühlloses, fremd gewordenes Körperglied zu entfernen. BIID hingegen stellt die Behinderung in den Vordergrund, die es mit all ihren Folgen zu erreichen und zu bewältigen gilt. Der Betroffene "fühlt" sich schon seit Kindesbeinen als Behinderter, ist aber tatsächlich körperlich meist völlig gesund. Der Behinderungszustand, der erreicht werden soll, umfasst nicht nur die Amputation einzelner Körperglieder, sondern widerspiegelt je nach Einzelfall die volle Bandbreite möglicher körperlicher Beeinträchtigungen und Behinderungen. Also viel mehr als nur eine erhoffte Amputation eines Körpereiles.

zu 4. Aus meiner Sicht wirklich ein klares NEIN.

zu 5. Den Begriff "Wannabe" halte ich nach dem Stand der aktuellen Forschung für veraltet. Wird hier auch kaum noch gebraucht.
Zuletzt geändert von Bracemarc am Fr 4. Mär 2016, 22:37, insgesamt 1-mal geändert.
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