PhD-Arbeit zu BIID

LAK1210
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17238Beitrag LAK1210 »

Hallo PHDResearch,
hier sind meine Antworten zu Ihren Fragen:

1.
Die Kopplung mit den Wissenschaftlern ist relativ eng. Dies geschieht zum einen durch die Teilnahme an Studien, Abfragen für Bachelor-Arbeiten oder an der Teilnahme an BIID-Kongressen. Zum anderen stehen einige auch mit den einschlägigen Forschern in engem oder losen Kontakt. Einige Mitglieder sind auch im VFSK eV Mitglied (phorus hat die Homepage bereits erwähnt).

2.
Einige Mitglieder haben sich vehement gegen die Einordnung von BIID als psychische oder psychiatrische Störung gewehrt. Anderen ist es eher gleichgültig. In jedem Fall kann dasLeiden unter BIID psychische Störungen wie Depressionen, Selbstmordgedanken oder ähnliches auslösen. Auf jeden Fall können klassische Therapieverfahren für psychische Krankheiten BIID nicht heilen, allenfalls die Folgen lindern und ein gewisses Selbstwertgefühl aufbauen und die Akzeptanz von BIID für sich selbst verbessern. Vielen wäre ein Eintrag in den DSM und/oder dem ICD durchaus wichtig. Dies ist ein Grund, warum viele an Forschungsvorhaben teilnehmen - je höher die Teilnehmerzahl, desto besser statistisch abgesichert sind die Resultate. Ob letztendlich der Eintrag in den DSM oder den ICD eine Behandlung von BIID auch durch Amputation o.ä. zur Folge haben wird (das hoffen etliche hier), ist natürlich schwer vorherzusagen.

3.
Derzeit ist BIID die gebräuchlichste Bezeichnung für diese Störung. Charmant ist die relative Ähnlichkeit des Begriffs zu GID. Der 2013 von Brugger eingebrachte Begriff Xenomelie betrifft nur einen Teil der Mitglieder hier. Dieses Mankos ist sich auch der Schweizer Wissenschaftler bewusst. Es gab mal einen heftigen Diskurs in diesem Forum über die Begriffe/Bezeichnung, aber eine klare Mehrheitsmeinung hat sich - wenn ich mich richtig erinnere - nicht ausgebildet. Letztendlich ändert der Name der Störung ja auch nichts an dem Leiden, das es verursacht.

4.
Die große Erleichterung, mit dieser "spinnerten Idee" nicht ganz allein auf der Welt zu sein, hat allen hier geholfen. Auf den "Drang" selbst hat diese Erkenntnis natürlich erst einmal keinen Einfluss.

5.
Auch dieser Begriff ist in unseren Kreisen weit verbreitet und der anerkannteste für dieses Verhalten. Aber auch hier gäbe es vielleicht schönere, passendere Begriffe. Nur...würde ein neuer Begriff am Pretenden etwas ändern?

Liebe Grüße vom LAK 1210
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Jacky Sully
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17250Beitrag Jacky Sully »

Inhaltlich kann ich mich Phorus, Bracemarc und LAK1210 wirklich fast ausnahmslos anschließen. Einen persönlichen Stempel mag ich dem ganzen dennoch aufdrücken. Es ist etwas länger geworden...
PhDResearch hat geschrieben:Wie wurde der Drang nach einer körperlichen Beeinträchtigung zu unterschiedlichen Zeiten beschrieben, gedacht, erklärt oder vorgestellt, was erzählen wiederum diese Interpretationen über Körperdiskurse und die Vorstellungen von Körperlichkeit und wie erzählen Medientechnologien und vorherrschende Körperbilder an diesen Geschichten mit? Und darüber hinaus: Welchen Einfluss kann vor allem die neurowissenschaftliche Untersuchung von BIID auf die Vorstellung von Verkörperungen und körperlicher Vollständigkeit zukünftig haben?
Man kann nicht nur verschiedene Zeiten betrachten. Verschieden ausgelegte Sinnzusammenhänge und Interpretationen finde ich AKTUELL auch unter Betroffenen. Je nach Ausgangsbildung oder –prägung der Betroffenen wird immer jeweils ein oder mehere Aspekte in den Vordergrund gerückt. Anthropologische, psychologische, genetische, psychiatrische, philosophische, pornografische und sicher noch einige mehr. Es scheint jeder Betroffene ein eigenes Bild vom dem Phänomen zu haben und integriert verschiedene Aspekte/Ausprägunen in sein Bild oder blendet sie eben aus. Das ist zuweilen mühselig in der Diskussion kann aber auch Reichtum und Diversität in Argumentationen beherbergen.
Was die Medien angeht: Die allermeisten Berichterstattungen finde ich sehr unglücklich. Sie sind, meiner Meinung nach, nicht hinreichend fundiert und zumeist leider reißerisch und unsensibel aufgearbeitet. Hier kann ich nur von mir ausgehen und sagen: Ich kann mir dieses Begehren selber nicht erklären und es bedrückt mich tatschlich, dass ich nicht nur lange genug selbst an der Gesundheit meines Oberstübchens gezweifelt habe, sondern dass das auch noch alle Welt in reißerischer Aufarbeitung tun muss. Die Wahrheit dahinter ist so vielschichtig und wird meistens unzureichend erfasst. Insofern bin ich an deiner Aufarbeitung interessiert, weil sie eben viele Aspekte des Phänomens berücksichtigen möchte. Dass diese Arbeit in Zusammenhang mit den freien Künsten entsteht finde ich allenfalls sympathisch, von Offenheit getragen, nicht stigmatisierend,
Zu den Vorstellungen zu Körperlichkeit: Erfreulich ist, dass ein – unter Umständen – verwandtes Phänomen, die Transgender, zu mehr Akzeptanz in der Öffentlichkeit gelangen. Ein harter Kampf und aus meiner Position hoffentlich bald auch glücklicher Sieg. Das Überwinden von trennenden Konzepten und gedanklichen Barrieren trägt auch zur Wandlung des Verständnisses unseres Begehrens bei: Mir hilft die Vorstellung, dass die Diversität unter allen Menschen dieser Welt unfassbar groß ist und dass bei aller Komplexität dieser Welt, der Biochemie, jede denkbare Ausnahme theoretisch auch existieren müsse weiter. Das vermittelt mir: Ich bin ein ganz normaler Mensch, ich kann seriös mit meinem Begehren umgehen und bin nicht gleich „gestört“. Was ich mit dieser antrainierten Sichtweise auch bezwecken möchte: Knappe 30 Jahre schämte ich mich vor mir selber. Zu entdecken, dass ich „gestört“ bin, hätte mir in keiner Weise weitergeholfen. Nachdem ich mich nach dieser langen Zeit endlich entschloss, diese ungeliebte Seite an mir selber zu ergründen und zu untersuchen, stand von vorne herein im Vordergrund, dass ich glücklich sein mochte, mehr eins mit mir selbst, zentrierter, vollständiger. Das Ausräumen der Scham und die Anerkennung, ein normaler Mensch zu sein sowie die Akzeptanz und das Leben mit meinem seltsamen Begleiter stellten für mich eine erhebliche psychische Erleichterung dar. Ich nehme dennoch zur Kenntnis, dass das Begehren selten ist und dementsprechend exotisch behandelt wird bzw dass die Datenlage eindeutig darauf hinweist, dass ich in einem Merkmal mehrere Sigma abseits liege. Die Deutung dessen wiederrum wird je nach Deuter anders ausfallen.
PhDResearch hat geschrieben:Mich würde zum Beispiel sehr interessieren, welchen Einfluss diese Bezeichnungen und Label auf Sie persönlich oder als Gruppe, aber auch auf das Selbstverständnis ihrer Symptomatik und Körpererfahrung haben.
Mit trennenden Konzepten, Hierarchien und Bewertungen habe ich Schwierigkeiten, bzw. treffender: Ich mag sie ganz einfach nicht. Selbst vermeide ich Kategorisierung so gut es geht und sofern es mir selbst auffällt. Ich sehe Menschen, nicht die Frau (auch nicht Mann, Transgender, etc), den Rollstuhlfahrer, den Reichen, den Geflüchteten, die Putzfrau, etc. Eine gewisse Natürlichkeit kommt dann zum Tragen, wenn gewisse Merkmale, auf die der Mensch selbst wert legt anerkannt werden und im Menschsein nebenher völlig selbstverständlich existieren. Umgang mit Menschen bedeutet natürlich nicht immer Einverständnis. Und hier würde ich mir definitiv mehr Verständnis dafür wünschen, dass Kommunikation und Gesellschaft zu komplex ist, als dass sie mit schwarz/weiß oder gut/böse beurteilt werden könnten. Meine Großeltern sprachen noch, dass ein Bundeskanzler kein guter sein könne, wenn er doch geschieden sei. Wenn sie doch nur die Mehrdimensionalität dieser Aussage verstanden hätten. Und gleiches: Auch wenn Menschen an anderen Menschen eben nicht verstehen können, warum sie ein Begehren hegen, einen Zustand erwerben zu wollen, der gemeinhin als Behinderung bezeichnet wird, dann macht das sicher nicht den ganzen Menschen aus. Ich selbst arbeite noch daran, dass ich mich auch traue, öffentlich ich selbst zu sein und weiß leider, dass ich in den seltensten Fälle auch auf diese Sichtweise treffe.
Insofern: Ich für mich identifiziere mich überhaupt mit keinem Label und keinem Begriff. Ich hege ein solches Begehren, das ist unbestritten. Die üblichen Unterkategorien des BIID, nämlich „Amputation“, Querschnittlähmung“ und „Blindheit“, nebst einigen anderen, empfinde ich persönlich auch als unpassend. Hier kann ich auch nur für mich selbst sprechen, indem ich sage, in meinem Fall trifft es „gewünschte Querschnittlähmung“ gar nicht. Mein Begehren bediente sich eins mit diesem Ausdruck an der Krücke der Realität. Das was ich empfinde, überschneidet sich mitnichten in allen Punkten einer QSL. Ich komme immer wieder darauf zurück, dass ich wohl Beine haben möchte, aber die Aufmerksamkeit in diesen mir aber unangenehm ist, wie auch Aktivität mit diesen. Das war es eigentlich schon. Nicht mehr und nicht weniger. Dass ich, wenn ich meine Beine nicht benutzten möchte/kann, dafür einen Rollstuhl bräuchte, ist mir selbst manchmal tatsächlich unangenehm.
Ergo: Verwandte Begrifflichkeiten sind mir zu unpräzise und ich finde mich dort nicht wieder.
Es gibt jedoch eine positive Seite an der Verwendung einiger Begrifflichkeiten. Sie einen und lassen mich nicht alleine erscheinen. Wenngleich ich diese Begrifflichkeiten nicht mag so weiß ich doch, dass sich Leute dahinter verbergen, die mir in diesem Aspekt ähnlich sind.
PhDResearch hat geschrieben:Darüber hinaus würde mich interessieren, welche Rolle oder Einfluss Medien und Medientechniken hierbei einnehmen. Ohne das Internet und Foren wie dieses, hätten Sie sich wahrscheinlich nicht finden können.
Den größten Gefallen, den mir neue Medien tun konnten, ist, mir zu zeigen, dass ich nicht alleine bin. Vor dieser Erkenntnis hatte ich enormen Ekel vor mir selbst, empfand mich als abartig und pervers, kam aber gleichzeitig auch nicht von dem Begehren los. Über die Berichterstattung habe ich oben ja schon einige Worte verloren.
PhDResearch hat geschrieben:Wichtig, dass es als ein Körperbewusstsein oder Trans-Zustand verstanden wird, der keine „Gesellschaftskrankheit“ ist, sondern nachweislich ahistorisch. Aber auch wichtig darüber hinaus, weil seine Diagnostik zentrale Fragen aufwirft zur Vorstellung körperlicher (Un)Vollständigkeit, aber auch wie Subjekte als Verkörperungen interpretiert werden.
Genau DAS würde mich tatsächlich interessieren. Antropologisch, psychologisch wie auch physiologisch/biochemisch und sowieso in Kombination.

PhDResearch hat geschrieben:1.Verfolgen Sie den wissenschaftlichen Forschungsstand?
Teilweise. Es ist nicht immer einfach an Arbeiten heran zu kommen bzw diese überhaupt zu finden. Nett wäre, wenn die Interessenten, die hier nach Erkenntnissen zu Arbeiten suchen, diese dann auch im Rahmen der Möglichkeiten hier zur Verfügung stellen würden. Gewisse Ergebnisse sehe ich sehr kritisch. Umfrageergebnisse drücken nicht immer die reine Sach-/Gefühls-/Not-/…lage aus sondern sind manchmal auch politisches Instrument und werden dementsprechend nicht ganz wahr beantwortet.
PhDResearch hat geschrieben:2. Spielen die genannten Implikationen in der Bezeichnung BIID und um was für eine Störung es sich dabei handelt (psychisch, psychiatrisch etc) für Sie überhaupt eine Rolle? Oder ist das eine Frage, die sich für Sie erstmal nicht stellt, solange BIID nicht im DSM und ICD gelistet wird?
Es spielt in dem Sinne eine Rolle, als dass ich wahrnehme, dass meine persönliche Wahrheit nicht immer der kollektiven entspricht. Die Implizierung, ich könne eine psychische oder psychiatrische Störung haben, belastet mich sehr. Meine persönliche Wahrheit besteht, wie weiter oben aufgeführt, eher darin, als dass ich als Mensch gesehen werden möchte, dem man zugesteht, in einem Merkmal – zulässig, natürlich und komplikationslos – abzuweichen. Ich sehe schon Transgender nicht als „Störung“ jedweder Art an. Geschlecht ist ein Merkmal, nachdem man Leute einteilen kann, aber ob das nun der Vorliebe der Person entspricht, ist eine ganz andere Frage, für mich aber gewiss keine Störung. Und Laufen ist eine Fähigkeit, die man besitzen kann oder auch nicht. Und wenn es nicht so sein sollte, ist das doch auch völlig unerheblich. Es gibt andere äußerliche, biologische Merkmale und Fähigkeiten, die bisweilen modifiziert und verschieden beurteilt werden: Haarfarbe und -struktur, Alterungsmerkmale, Hautfarbe, Gefühlslage, und sehr viele mehr. Insofern sehe ich für mich persönlich auch keine Notwendigkeit, eine Klassifizierung in ICD10 oder DSM5 aufzuführen. Sehrwohl verstehen kann ich, dass es Menschen gibt, die das aus verschiedenen Gründen wirklich benötigen könnten. Eine andere und schwierige Frage ist, eine Grenze zu ernsten psychiatrischen Störungen zu finden und im Kontext „Diversität“ und „Störung“ zu definieren. Das erscheint mir – gerade auch mit den geschilderten Bestandteilen meiner persönlichen Wahrheit nicht ganz einfach, wenn nicht unmöglich. Wann dürfen Menschen so sein, wie sie sind und wann eben nicht?
PhDResearch hat geschrieben:3. Vertreten andere Foren oder Gruppen von Betroffenen andere Positionen hierzu? Auf transabled.org wurde bspw. der Begriff Xenomelie vehement abgelehnt. Biid-info.blogspot hingegen vertrat wiederum eine ganz andere Meinung. (Sicherlich hat hier jeder eine individuelle Ansicht zu.)
Meiner Meinung nach ist es noch nicht an der Zeit einen Begriff zu finden. Als Arbeitstitel kann ich diverse Begriffe akzeptieren, ein die Wahrheit reflektierende Begriff sollte aber dann gefunden werden, wenn weitgehende Einigkeit herrscht, was dem Phänomen zugrunde liegt und welche Aspekte und Untergruppierungen nun dazugehören und welche eben zu anderen Phänomenen gehören, aber dennoch gehäuft korrelieren. Auch wenn ich Klassifizierungen persönlich ablehne, in wissenschaftlichem Interesse ist dies unvermeidbar und – ich muss zugeben – hilfreich.

Xenomelie: Da habe ich gemischte Gefühle zu. Einerseits drückt der Begriff aus, dass ein Körperteil oder eine Funktion als nicht stimmig empfunden wird, was ja durchaus treffend ist. Andererseits empfinde ich den Begriff zu aktuell diskutierten (und individuell empfundenen) Ursachen als nicht passend. Beispielsweise drückt der Begriff für mich eine „Krankheit“ oder eine „genetische Ursache“ aus und blendet aber den eventuellen lerntheoretischen Hintergrund, wie auch psyschichen Hintergrund aus.

Bodydysphoria: Stellt den Aspekt der Identifikation in den Vordergrund: Wer bin ich? Wie will ich gesehen, anerkannt und verstanden werden? Gefällt mir insofern gut, als dass der Mensch vordergründig betrachtet wird. Er erscheint mir in der Aussagekraft allerdings zu schwach und erinnert auch zuweilen an eine „Phase“ oder „momentane Verstimmung“. Positiv jedoch ist, dass er impliziert, dass es auch ein psychisches Problem gibt, wie auch vermerkt, dass einige andere psychologische Phänomene durchaus mit unserem Begehren Hand in Hand daherkommen und diese vom Betroffenen angegangen werden sollten. Hier steht die alleinige Lösung durch Körperveränderung nicht mehr im Vordergrund.

BIID: Der Bestandteil Disorder ist weitaus schwächer als Disease, aber immer noch zu stark, um eine von mir persönlich gewünschte statistische Abweichung zu vermerken. Wiederrum auch stark genug, um eine Ernsthaftigkeit unseres Problems auszudrücken. Nämlich sehr wohl geht damit ein Leidensdruck einher, der nicht unerheblich ist. Der Identitätsaspekt wird genauso gut repräsentiert wie in Bodydysphoria wie aber eben auch die körperliche Komponente wie in der Xenomelie.

Nicht ein Begriff erwähnt die durchaus diskutable erotische Komponente, die teilweise auch Fetisch-Bereiche tangiert. Ich nehme stark an, dass diese aus politischen Gründen nicht erwähnt werden soll, um die Ernsthaftigkeit des Problems nicht infrage zu stellen.

Die Frage ist auch, an wen diese Begrifflichkeiten appellieren. Jeder Betroffene ist Fachmann in eigener Sache und interpretiert seine individuellen Nöte und Sehnsüchte in Begriffe anders herein. Solche Begriffe werden aber selten detailliert betrachtet und gedeutet, sondern einmal gehört und bekannte Schlagworte gleich mitgenommen und isoliert betrachtet. Beispiel „Disorder“. Ich höre einige Leute schon brüllen. „Siehst du! Die sind krank, ich hab’s doch gleich gesagt!“ Wie bereits vorgeschlagen, wäre eine ziemlich neutraler und unspektakulärer Begriff auch in meinem Sinne in Ordnung. Man kann eh nicht jede Ausprägung miteinbeziehen und desweiteren wäre es ein Segen, dieses Stigma „pervers“ und „krank“ zumindest öffentlich loszuwerden. Diesem Begriff müsste dann tatsächlich auch gestattet werden, die Ernsthaftigkeit nicht ausdrücken zu können.
PhDResearch hat geschrieben:4. Hat die Bezeichnung oder Identifikation mit der Bezeichnung BIID auf Sie persönlich Effekte gehabt, bspw. in der Manifestation des Drangs - abgesehen von der Möglichkeit, andere Betroffene oder eine Gemeinschaft finden zu können?
Nein. Für mich war ziemlich schnell klar, dass ich mich diesen Begrifflichkeiten nicht zugehörig fühlen mochte. Es war entlastend, festzustellen, DASS es überhaupt ähnliche Leute gibt. Und einige Worte dazu habe ich ja schon weiter oben mehrfach geschrieben.
PhDResearch hat geschrieben:5. Und wie stehen Sie eigentlich zu dem Begriff Wannabe?
Den wiederrum finde ich irgendwie süß. Ich bezeichne mich selbst schon gerne als Wannabe, im Gegensatz zum Pretender. Letzterer hat eine Färbung von „Lügen und Betrügen“ für mich. Wannabe hat jedoch auch eine spontane Vorsätzlichkeit („wollen“) inne, die nicht ganz wahr ist. Ausgesucht habe ich mir das nicht freiwillig. Andererseits drückt er aber auch eine Unbeschwertheit aus, die ich gerne erreichen will.
Ich befrage meine Gedanken und Gefühle schon ziemlich intensiv und bin mir über viele Prozesse (die in mir vorgehen, die sich aber nicht unbedingt verallgemeinern lassen) durchaus im Klaren und vor allem: Im Reinen mit mir selber. Insofern liegt mir diese unbeschwerte Aspekt schon nahe. Ich bin so, das ist ok, das darf ich.
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17280Beitrag PhDResearch »

Liebe alle,

vielen herzlichen Dank für Ihre Mühe und die sehr aufschlussreichen Antworten. Da Sie die zuweilen sehr unterschiedlichen Phänomenologien des Syndroms erwähnt haben, würde ich gerne einige Verständnisfragen einschieben, die sich mir aus der wissenschaftlichen Recherche noch nicht ganz erschlossen haben. (Ich werde im Folgenden u.a. den Begriff Syndrom - eine Konstellation unterschiedlicher Symptome - für BIID verwenden, da ich ihn wertneutral finde.)

Wenn man sich die komplette medizinische Literatur durchliest, bekommt man einen sehr stringenten, homogenen Eindruck vermittelt: Nämlich dass es Betroffenen mit Amputationswunsch – abgesehen davon, sich primär mit ihrem Körper in Einklang zu bringen – auch um die Herausforderungen und Leistungsaspekte geht, die mit dem gewünschten, „beeinträchtigten“ Körper einhergehen. Zugespitzt formuliert würden sie demzufolge der gesellschaftlich konstruierten Wahrnehmung des „unvollständigen“, „behinderten“ oder „defizitären“ Körper eine neue, eigene Bedeutung zu- oder einschreiben.

1. Ist das richtig oder nur teilweise zutreffend?

2. Wie ist das bei Menschen mit dem Drang nach einer QSL oder nach Blind- und Taubheit?


Es gibt meines Wissens nach noch keine Studie zu so genannten „Pretendern“ (Liebe Jacky Sully, verzeihen Sie mir, wenn ich den Ausdruck jetzt der Einfachheit halber benutze) und mir ist auch nicht so richtig klar, was sich hinter diesem Phänomen verbirgt. Krafft-Ebing schreibt von dem Wunsch eines Jungen „ein lahmendes Mädchen zu bemitleiden oder selbst hinkend von einem schönen jungen Mädchen bemitleidet zu werden.“ Bruno berichtet ebenso von einer Frau, die nicht tatsächlich „behindert“ sein möchte, sondern der es darum geht, als „behindert“ wahrgenommen zu werden und die sich zu Menschen mit Beeinträchtigungen sexuell hingezogen fühlt. Abgesehen von manch anderer kruden Schlussfolgerung hat Bruno seiner Patientin aber auch nicht richtig zugehört, da sich ihr Begehren oder Fetisch weniger auf die beeinträchtigten Körper ihrer Partner richtet, sondern vielmehr auf deren verwendete Pro- und Orthesen.

3. Wäre auf diese Menschen die Bezeichnung Pretender zutreffend bzw. was hat es mit Pretendern eigentlich genau auf sich?

(Beim erneuten Lesen bekomme ich gerade die Sorge, dass meine Fragen etwas bewertendes oder ausgrenzendes bekommen. Das ist aber nicht so gemeint. Ich bekomme es gerade nur nicht besser formuliert.)

Meine nächsten Fragen würden sich auf Prothesen und deren Bedeutung für Sie beim pretending oder eben danach richten. Der Sinn einer wirkungsvollen Prothese ist es unter anderem ja einverleibt zu werden. Für den Blinden bspw. wird die Spitze seines Stabes ein sensibles Areal, das den Augen ein Ersatz sein soll. In der Regel geschieht diese Inkorporierung durch Training, Konditionierung oder Habitualisierung.

4. Würden Sie von sich behaupten von Anfang an einen speziellen Bezug zu Prothesen gehabt zu haben?

4. Kommt den verwendeten Prothesen als solchen eine bestimmte Bedeutung zu oder sind sie nur Mittel zum Zweck? Und ist dies ganz individuell oder gibt es hier mehrheitliche Tendenzen: Bspw. ob die Prothese ausgestellt und als solche erkennbar oder besser unsichtbar sein soll? Würden Sie ein klassisches Modell bevorzugen oder eher eine High-Tech Prothese oder eine spezielle Anfertigung wie bspw. the alternative limb project?

5. Wie ist das bei Hörgeräten, Brillen oder Blindenstöcken?

Und:
6. Ich kenne die erwähnte, sozialwissenschaftliche Arbeit von der Uni Bochum nicht. Könnten Sie mir den Titel nennen?

Vielen Dank
und mit herzlichen Grüßen!
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Jacky Sully
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17287Beitrag Jacky Sully »

Hallo :)
PhDResearch hat geschrieben:Wenn man sich die komplette medizinische Literatur durchliest, bekommt man einen sehr stringenten, homogenen Eindruck vermittelt: Nämlich dass es Betroffenen mit Amputationswunsch – abgesehen davon, sich primär mit ihrem Körper in Einklang zu bringen – auch um die Herausforderungen und Leistungsaspekte geht, die mit dem gewünschten, „beeinträchtigten“ Körper einhergehen. Zugespitzt formuliert würden sie demzufolge der gesellschaftlich konstruierten Wahrnehmung des „unvollständigen“, „behinderten“ oder „defizitären“ Körper eine neue, eigene Bedeutung zu- oder einschreiben.

1. Ist das richtig oder nur teilweise zutreffend?

2. Wie ist das bei Menschen mit dem Drang nach einer QSL oder nach Blind- und Taubheit?
Das ist eine gute Frage, die, sowie ich verstanden habe, noch nicht abschließend diskutiert wurde. Wenn hier jemand mehr weiß, nur zu! Zudem ist die Frage auch vielschichtig. Ich kann hier nur wieder für mich selber sprechen, auch abseits jeglicher Persönlichkeits- oder Eigenschaftsstudie, und Folgendes berichten:

Herausforderung und Leistungsaspekte im Sinne, dass man sich selbst und anderen beweist, wie gut man mit einer Situation klar kommt, die andere als schrecklich und unlösbar bewerten, empfinde ich als unzutreffend und eine Art Heuchelei (ohne jemandem damit weh tun zu wollen, bitte berichtet, wenn ihr selbst anders fühlt und denkt). Wenn man vorher schon stark vermutet, dass die Behinderung ein wahrscheinlich angenehmer Zustand werden könnte, worin besteht denn da die Leistung? Ich vermute eher (ich kann immer noch nicht für alle sprechen), dass es um Selbstsicherheit und Zufriedenheit geht: Einerseits bietet die vermutlich richtige Körper-/Bewegungsform meistens das wohlige Gefühl, endlich im richtigen Selbst/im richtigen Leben zu sein, endlich richtig wahrgenommen zu werden und sich entsprechen darzustellen. Immerhin ist es ein Grundbedürfnis sich selbst authentisch auszudrücken und darzustellen. Erfolgt dann auch noch positive Rückmeldung in Form von Bewunderung, Anerkennung der Stärke etc darauf, so verstärkt sie den Selbstwert dementsprechend. In meinem Fall: ich bin eine eigentlich extrovertierte, lebhafte Person mit reichlich Selbstsicherheit und Stärke, jedoch führten die von Bracemarc schon sehr treffend und ausführlich dargestellten Prozesse der Verleugnung (jetzt retrospektiv betrachtet) schon zu einer erheblicher Abnahme meiner Selbstsicherheit, in gewisser Weise ein wenig zu einer empfundenen Spaltung meiner Person, zu depressiven Verstimmungen, Verzweiflung, Versagensängste, dem Gefühl nicht gut genug zu sein. DAS nagt am Selbst und zerstört so ziemlich vieles im Leben. Zwei Dinge brachten mich soweit wieder ins Lot: Die Akzeptanz meines „Schandfleckes“ und das damit verbundene Wissen um ein paar destruierende psychische Mechanismen, denen ich jahrzehntelang aufgesessen bin. Und das zumindest zeitweilige Hervorholen der behinderten, aber irgendwie doch vollständigeren, zentrierteren Person. Letzteres gab mir innere Ruhe, aus der heraus einige Dinge im Leben besser zu bewältigen sind, als aus einer psychisch labilen Situation.

Hier darf keineswegs unerwähnt bleiben, dass wir alle ganz sicher wissen, dass eine Behinderung eben nicht romantisiert werden darf. Es ist und bleibt kein einfaches Leben mit einer Beeinträchtigung. Auch wenn wir sie begehren. Uns ist allen sehr bewusst, dass es physische Herausforderungen zu bewältigen gibt, und wir alle hoffen, dass in jedem Einzelfall die physischen Probleme weitgehend durch die abfallenden psychischen kompensierbar werden. Hier kann vielleicht wieder LAK1210 weiterhelfen.

Ich erwähnte eben ein „einerseits“. Dazu gehört noch ein andererseits:
Anderseits sind mir durch die Beschäftigung mit unserem Phänomen einige Dinge an mir selbst aufgefallen, die ich vermutlich nicht gefunden hätte, wäre meine Situation nicht so verzweifelt und ausweglos gewesen: In der Tat war ich sehr lange sehr blind für meine eigenen Bedürfnisse und habe mich hingebungsvoll eher um das Wohl und die Bedürfnisse anderer gekümmert, als den Fokus auf eigene Routinen zu legen. Ich bin schon sehr flexibel, nur bin ich damit ganz sicher viel zu weit gegangen. Nach reichlicher Kumulation dessen, hatte ich das Gefühl, am Leben nur als Statist teilzunehmen und „gelebt“ zu werden. Wenigstens eine gute Seite hat unser Phänomen gehabt: ich lernte gleichzeitig für mich selbst einzustehen und essentielle Sachen zu fordern wie auch mir (auch wenn es zunächst seltsam anmutete) mein Behinderungsbedürfnis zu gestatten. Ich habe jetzt retrospektiv das Gefühl, ich wünschte mir einst das Leben im Rollstuhl auch, um zu demonstrieren: „Schaut her, ich kann nicht anders, ihr müsst auf mich Rücksicht nehmen“. Solche defizitorientierten Gedanken kommen in verzweifeltem und nicht aufgearbeitetem psychischen Zustand.

Das war nun ein langer und persönlicher Absatz, um eigentlich nur zu sagen: Ich für mich kann nicht (mehr) behaupten, dass es einen Leistungsaspekt im Behinderungsbedürfnis gibt. Ich fühle mich allerhöchstens aufgrund innerer Ruhe und Zentriertheit zu mehr in der Lage.

Es gibt allerdings meiner Meinung nach noch einen Aspekt, der in die Frage mit einspielt: Die gesellschaftliche Wahrnehmung eines behinderten Körpers ist in vielen Situationen eben auf diese Behinderung gerichtet, und meiner Meinung nach, ist es ein Anliegen sowohl der ungewollt Behinderten/Erkrankten als auch den Betroffenen unseres Phänomens, eine gewisse Natürlichkeit in den Vordergrund zu stellen. Dann rollen wir halt, oder es fehlt ein Körperteil? Na, und? Für uns ist es normal, für alles anderen sollte es das auch sein. Wir definieren uns in gewisser Weise darüber, der ungewollt Behinderte ja natürlich nicht, aber es ist eben doch in der Konsequenz das Gleiche.
PhDResearch hat geschrieben:Es gibt meines Wissens nach noch keine Studie zu so genannten „Pretendern“ (Liebe Jacky Sully, verzeihen Sie mir, wenn ich den Ausdruck jetzt der Einfachheit halber benutze) und mir ist auch nicht so richtig klar, was sich hinter diesem Phänomen verbirgt. Krafft-Ebing schreibt von dem Wunsch eines Jungen „ein lahmendes Mädchen zu bemitleiden oder selbst hinkend von einem schönen jungen Mädchen bemitleidet zu werden.“ Bruno berichtet ebenso von einer Frau, die nicht tatsächlich „behindert“ sein möchte, sondern der es darum geht, als „behindert“ wahrgenommen zu werden und die sich zu Menschen mit Beeinträchtigungen sexuell hingezogen fühlt. Abgesehen von manch anderer kruden Schlussfolgerung hat Bruno seiner Patientin aber auch nicht richtig zugehört, da sich ihr Begehren oder Fetisch weniger auf die beeinträchtigten Körper ihrer Partner richtet, sondern vielmehr auf deren verwendete Pro- und Orthesen.

3. Wäre auf diese Menschen die Bezeichnung Pretender zutreffend bzw. was hat es mit Pretendern eigentlich genau auf sich?
Heikles Thema. Das wird auch oft und sehr gerne ausgeblendet. Ich versuche mal, etwas allgemeingültiges Licht ins Dunkel zu bringen und auf das Konfliktpotential hinzuweisen:

Einige Überschneidungugen gibt es unter folgenden Phänomenen:
1. ernsthaft und mitunter leidvoll eine dauerhafte Behinderung am eigenen Körper als richtiger zu empfinden (BIID)
2. Rein sexuelle Phantasien und Fetische am eigenen kurzzeitig behinderten Körper sowie am Geschlechtspartner mit Rollenspielen und Hilfsmitteln (wie LAK1210 schon schrieb: aus dem Bereich der Philien).
3. Keine Behinderung ernsthaft haben zu wollen, aber durchaus öffentlich zeitweise als behindert wahrgenommen zu werden.

Dabei sind Grad und Häufigkeit der Überschneidungen der drei Phänomene unbekannt: Diese reichen tatsächlich von Betroffenen, die ausschließlich die reale Behinderung am eigenen Körper spüren ohne sexuellen Anteil bis hin zu Betroffenen, die zusätzlich zu einer eigenen begehrten Behinderung auch Fetische aller Art praktizieren. Sehrwohl gibt es auch die rein sexuell praktizierten Fetische mit jeglichen Behinderungsarten ohne eigenen Bezug zu dem leidvollen, "ernsten" Phänomen. Dabei kann unterschieden werden zwischen Personen, die auf real Behinderte Partner erregt reagieren (Devotees) und den reinen Rollenspielen. Vielleicht gibt es diese Gruppe isoliert sogar am Häufigsten, da bin ich mir aber nicht sicher.

Oftmals, aber sicher nicht immer, wird Gruppe 3 als Pretender bezeichnet (diese gibt es auch mit und ohne Fetisch-Komponente), es kann aber auch sein, dass wir als Gruppe 1 dort herein gezählt werden. Vielen hier ist die Bezeichnung unangenehm, da wir der Meinung sind, uns dieses Begehren nicht ausgesucht zu haben, bei vielen ist es seit Kindertagen immer schon vorhanden gewesen und bisweilen auch therapieresistenter Bestandteil unserer Person. Insofern hebt sich das sinngemäß etwas vom „Vorgeben“ ab.

Dass es Überschneidungen gibt, ist nicht wegzudiskutieren, soll aber hingegen auch nicht als allgemeingültig angesehen werden und darüber hinaus auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein existentielles Problem vorliegt. Diese Differenzierung liegt allen hier am Herzen und es wäre in unser aller Interesse dieses Schmuddelimage öffentlich loszuwerden. Auf der anderen Seite darf auch im Interesse der Betroffenen mit der ausgeprägten Fetischkomponente die Seriosität gewahrt bleiben und keinesfalls zu einer Stigmatisierung führen.
PhDResearch hat geschrieben:Meine nächsten Fragen würden sich auf Prothesen und deren Bedeutung für Sie beim pretending oder eben danach richten. Der Sinn einer wirkungsvollen Prothese ist es unter anderem ja einverleibt zu werden. Für den Blinden bspw. wird die Spitze seines Stabes ein sensibles Areal, das den Augen ein Ersatz sein soll. In der Regel geschieht diese Inkorporierung durch Training, Konditionierung oder Habitualisierung.

4. Würden Sie von sich behaupten von Anfang an einen speziellen Bezug zu Prothesen gehabt zu haben?

4. Kommt den verwendeten Prothesen als solchen eine bestimmte Bedeutung zu oder sind sie nur Mittel zum Zweck? Und ist dies ganz individuell oder gibt es hier mehrheitliche Tendenzen: Bspw. ob die Prothese ausgestellt und als solche erkennbar oder besser unsichtbar sein soll? Würden Sie ein klassisches Modell bevorzugen oder eher eine High-Tech Prothese oder eine spezielle Anfertigung wie bspw. the alternative limb project?
Ich darf einen Aktivrollstuhl mal auch in die Fragestellung mit einbeziehen? Sonst: ignorieren bitte.
Ich fühlte mich nie „angekommen“, erlebte hingegen eine unspektakuläre Normalität, mich nichtlaufend und mit den Armen fortzubewegen. Eine Affinität zu schönen Aktivrollstühlen hege ich und hegte ich auch seit Kindertagen schon. Das Gefühl mit dem Oberkörper zu agieren und dabei unabhängig von den Beinen zu sein stellt sich immer wieder als das heraus, was ich seit jeher als ideal fühlte. Allerdings beim Anblick meiner im Spiegel, oder wenn ich mir vorstelle, wie andere Leute mich im Rollstuhl sehen, überzieht mich allerdings öfter wieder eine Peinlichkeit. Aber ja: Ich fühle mich mit dieser Extension richtig, es macht Freude, im Umgang besser zu werden und die Bewegungen fühlen sich natürlich an. Es fühlt sich in der Tat an, als gehöre diese Art Fortbewegung mehr zu mir, als die laufende.
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Amish Tripathi
-phorus-
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17288Beitrag -phorus- »

Hallo, liebe(r) "PhDResearch", es gibt die Möglichkeit, sich über den Admin im Modus "Forschung" anzumelden. Dann wärest Du hellblau gefärbt und PM-empfangsfähig, Du hättest Zugang zum Bereich Forschung, und wir müssten nicht alles im ganz öffentlichen Bereich erörtern. Evt. könnte man diesen Thread auch dorthin verfrachten?
Anregungshalber, Phorus
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Jacky Sully
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17290Beitrag Jacky Sully »

Andererseits: Mir war es ganz recht, dass öffentlich ein paar grundsätzliche Dinge diskutiert werden und hoffte schon, dass einige Leute hier mitlesen. Wie sehen andere das?
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Amish Tripathi
etta

Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17294Beitrag etta »

Lese mit großem Interesse hier mit. Da ich kürzlich ebenso Fragen gestellt habe, die in diese Richtung gehen, würde ich mich sehr freuen, weiterhin dem Gespräch folgen zu können. etta
caroline
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17296Beitrag caroline »

Hallo Phd Research.

(Eine Antwort von einer Querschnitt-BIIDlerin)

So weit ich mich zurückerinnern kann, spielten die Herausforderungen und der Leistungsaspekt eher eine untergeordnete Rolle bei mir. Der Gedanke kam zwar immer mal wieder auf, vor allem in der vorpubertären Zeit, wie ich bestimmte Situationen meistere und dafür gelobt und ein wenig mehr Aufmerksamkeit bekomme, aber das war für mich nicht der Hauptgrund meines Bedürfnisses einen Querschnitt zu haben. Mir war eigendlich von Anfang an klar, dass ich im Rolli besser am Leben meiner Umwelt teilhaben kann als zu Fuss. Ich wollte nur ein Stück Normalität.
Es geht sehr viel Energie verloren, wenn man tagtäglich Bewegungen und Empfindungen an Körperstellen fühlt und durchführen muss, die nach eigenem Emfinden nicht möglich sein sollten.
Wieviel Energie, dass konnte ich erst erfahren, als ich mir einen Rollstuhl angeschafft habe.
Ja, die erste Zeit dann war auch viel Stolz mit im Spiel, dass ich so gut damit zurecht gekommen bin. Und ich habe auch Situationen gesucht, die für andere erst einmal eine Herausforderung darstellen könnten. Aber mitlerweile ist es Alltag geworden und Bewunderung ob meiner "Leistung" ist mir eher unangenehm. Was jetzt überwiegt, ist eher die Freude, meine Umwelt bewusster wahrnehmen zu können, egal wie lange und wie viel ich unterwegs bin. Das Gefühl: "Ich hab es ja gewusst!".
Was ich aber auch sagen muss ist, dass ich im Beisein von anderen Betroffenen mit Rolli mal gerne mit meinen Fähigkeiten ein wenig angebe. Aber dann messe ich mich mit denen, die in der selben Situation sind und die das dann auch zu würdigen wissen. Die genau die Freiheit verspüren, wie ich selber. Und sich über die Erfolge mit mir freuen können.

Vielleicht könntest Du statt nach Prothesen nach Hilfsmitteln fragen?
Der Rolli war und ist für mich einfach ein Mittel zum Zweck. Ohne ihn funktioniert mein Leben nicht.
Die Affinität zu verschiedenen Rollimodellen hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Vor ca. 38 Jahren kannte ich erst nur die schweren Krankenfahrstühle, aber selbst die haben in mir das Bewusstsein geweckt, damit viel aktiver als zu Fuss sein zu können. Alte Holzrollstühle hatten auch eine Zeit lang ihren Reiz. Mit den ersten Aktivrollstühlen die auf den Markt kamen, konnte ich zuerst gar nichts anfangen. Mittlerweile habe ich aber "meinen" Aktivrolli gefunden in dem ich mich wohlfühle.
Ein spezielles Training brauchte ich übrigens nicht. Ich habe mich reingesetzt und los gings. Einige spezielle Sachen würde ich wohl gerne mal üben, wie Rolltreppe fahren oder Treppen bewältigen. Aber die ganz normale Fahrerei, Hindernisse überfahren, wie die Bewegungen bei Steigungen oder Abschüssigem Gelände zu bewerkstelligen sind, Türen auf und zu machen und noch vieles mehr war von Anfang an abrufbereit und ohne Probleme durchführbar.

Was das Pretenden angeht:
Es bedeutet ja: zu tun als ob.
Einerseits tun wir als ob wir amputiert, gelähmt, blind etc. sind. Andererseits kann ich von mir sagen, dass ich nicht mehr nur so tue als ob ich gelähmt bin indem ich einen Rolli benutze, mich im Sitzen oder Liegen anziehe, mich beim Umsetzen mit den Händen abstütze, meine Beine mit den Händen bewege. Denn ich habe erkannt, dass all diese Handlungen mir helfen, Psychisch stabil zu bleiben. Somit bin ich wirklich darauf angewiesen. Diese Erkenntnis hat mir auch geholfen, das schlechte Gewissen anderen Behinderten, speziell Querschnitten gegenüber zu überwinden. Ohne Rolli und allem darumherum bin ich behindert. Ich kann dann aufgrund von überwältigender Müdigkeit, Lustlosigkeit, Reizbarkeit, Depressionen, fehlender Energie, praktisch nicht mehr die Wohnung verlassen oder Kontakt per Telefon oder über Internet aufnehmen. Das würde mich dann überfordern. Die ganze Kraft reicht dann eben noch um am Leben zu bleiben und den Job zu erledigen.
Bracemarc
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Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17307Beitrag Bracemarc »

Hallo Phd Reasearch,

zunächst möchte ich Ihre Frage zu Nr. 6, nach der M.A.-Arbeit zum interdisziplinären Diskurs über BIID beantworten. Diese Arbeit ist veröffentlicht und steht zum Download bereit unter: http://www.vfsk.eu/de/index.html. Am unteren rechten Bildrand sehen Sie ein Downloadmenue, wobei die gesuchte Arbeit der unterste Link ist (abgesehen von Satzung und Beitrittserklärung). Ich habe bewusst diese Seite ausgesucht, da die Links darüber sicher ebenfalls recht interessant für Ihre Arbeit und Ihr Verständnis sein dürften (falls noch nicht bekannt). Weiterhin möchte ich Sie auf den Menuepunkt Forschung, oben im Menue hinweisen.

Ich hatte ebenfalls schon die Idee, diese Diskussion hier, in den Forschungstread innerhalb des Forums zu verfrachten, bin aber auch der Ansicht, dass die Zeit gekommen ist, einige Dinge hier im offentlichen Bereich bekannter zu machen, zu diskutieren und den begonnenen Tread hier zu belassen. Unabhängig besteht natürlich die von -phorus- vorgeschlagene Möglichkeit, bei den Admins des Forums, eine Mitgliedschaft im Forschungsteam zu beantragen, was die Nutzung der PN und des Forschungsbereiches beinhaltet.

zu 1 u. 2. Eher nein. Gesellschaftlich gesehen, ist seit der UNBehindertenrechtsKonvention CRPD, aus dem Jahre 2007, die von der Deutschen Regierung im Jahre 2009 ratifizeirt wurde (CH und A hab ich jetzt nicht recherchiert), ein echter gesellschaftlicher Wandel im Gange, der den Behindertenbegriff und den gesellschaftlichen Umgang völlig neu definiert und einen Wandel der Betrachtung und Herangehensweise eingeleitet hat. Es geht nicht mehr um Integration sondern nun mehr um Inklusion. Wo noch bei der Integration das Schwergewicht darauf lag, Behinderung entweder komplett auszugleichen oder möglichst zu "verstecken", hatte der Behinderte defacto die Pflicht, sich möglichst dem Normalbild soweit wie nur irgend möglich anzunähern und sich mit seiner Behinderung möglichst unauffällig und zurückhaltend zu verhalten. So kommt es bei der Inklusion eher darauf an, dass der Beinderte dort abgeholt wird, wo er ist und die Gesellschaft sich behindertenfreundlich und weitgehend barrierefrei präsentiert. Das schließt auch ein, Behinderung im alltäglichen Straßenbild nicht mehr tarnen und verstecken zu müssen, sondern dem Behinderten sehr bewusst einen offenen, selbstsicheren, selbständigen und selbstbewußten Umgang mit seiner Behinderung zu ermöglichen. Das beginnt damit, dass ein amuptierter Mensch durchaus seine Prothese zeigen darf und ganz selbstverständlich sich in kurzen Hosen bzw. Röcken, der Witterung entsprechend kleiden darf. Geht weiter darüber, dass z.B. eine High-Tec-Prothese oder Orthese offen gezeigt, sich als technischer Gegenstand und nicht mehr als das versteckenswerte Kunstbein/-arm präsentieren muss, der Rolli-Nutzer den Mitleidscharakter verliert und sich modern, sportlich und leistungsfähig präsentieren darf, barrierefrei überall hinkommt uvm.

Der Leistungsaspekt geht also mehr dahin, daß die Betroffenen nicht mehr an den Vorurteilen und den Stigmen der gesellschaftlichen Wahrnehmung gemessen werden wollen sondern sich gleichberechtigt in der Gesellschaft ohne Scham bewegen und auch messen können. Das fängt bei Arbeit, Beruf, Familie und Freizeit an und setzt sich fort bis in den Spitzensport, wo Behinderte inzwischen absolut vergleichbare Leistungen zu Nichtbehinderten erbringen, was der nichtbehinderte Sportler natürlich erst einmal einsehen muss, ohne den Behinderten gleich schon wieder, wegen der Verwendung z.B. der Sport-Beinprothese als unerlaubtes technisches Hilfsmittel, gleich schon wieder zu stigmatisieren und auszugrenzen.

Dieser Wandel in der Betrachtungsweise geht natürlich nicht spurlos an den BIIDlern vorüber. Es wird sich auch hier ein positives Beispiel z.B. an behinderten Sportlern genommen, denen es nachzueifern gilt. Kaum ein Behinderter gibt sich heute noch als das "bemitleidenswerte kaum leistungsfähige Würmchem", sondern will im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit seinen Platz in der Gesellsçhaft einnehmen und natürlich an normal leistungsfähigen Menschen gemessen und auch so annerkannt werden. Das ist der Anspruch - soweit das geht und mit der speziellen Behinderung vereinbar ist. Die technischen Mögĺichkeiten hierzu sind schon oft vorhanden und werden auch stetig weiter entwickelt.

Aus dem eigenen Erleben heraus kann ich sagen, dass ein Behinderter heute trotzdem noch "30%" besser sein muss als sein nichtbehinderter Kollege, um als einigermaßen gleichwertig akzeptiert źu werden. Das wissen auch die BIIDler. Daher kommt vielleicht am ehesten dieser Leistungsgedanke. Nicht nur aus der reinen Bewältigung der Behinderung i.S. eines "gerade mal Achtungserfolges" trotz übermäßig großem Einsatzes an Technik, sondern tatsächlicher Gleichwertigkeit.

Sicher mag es unter den BIIDlern auch eine sehr kleine Anzahl von Leuten geben, die das zur Schau stellen von Behinderung in exhibitionistscher Art und Weise zu allen nur möglichen Gelegenheiten suchen, oder "Behinderungsromantiker" die ihre Anerkennung aus dem Leistungsaspekt der Behinderung heŕaus beabsichtigen, da sie sonst kaum Anerkennung bekommen. Das hat aber mit BIID und echter Bewältigung von Behinderung nichts zu tun.

zu 3. und 4a. Pretender im eigentlichen Sinne sind Menschen, die eine Behinderung aus verschiedenen Gründen nachstellen, wie es Jacky Sully bereits dargestellt hat. Nicht mehr und nicht weniger. Alle anderen Implikationen darf am getrost als "falsch" hinstellen. Wenn sich das Begehren wegwendet, von der eigentlichen Behinderung und zur rein sexuellen Befriedigung an den verwendeten Hilfsmitteln wird, wie Prothesen, Orthesen, Rollstühlen, Blindenstöcken, Brillen und und und...., dann hat das nichts mehr mit Pretenden oder dem Begriff to pretend zu tun, sondern ist ein reiner Fetisch geworden, der auch mit dem BIID-Gedanken nicht mehr vereinbar ist.

Pretenden bzw. Pretender i.S. von BIID meint das Nachahmen einer Behinderung, dass aus der schieren Not der Verzweifelung (gesundes äußeres Körperbild vs. behindertes memtales Körperbild) und dem daraus folgenden unerträglich gewordenen BIID-Druck (Notwendigkeit der Anpassung des Körperbildes an die Behinderung) der Betroffenen heraus praktiziert wird, weil sie ansonsten psychisch derart instabil, kaum noch eine klaren Gedanken hinbekommen und die mentale Leistungsfähigkeit sehr stark abgenommen hat. Der Betroffene kann über das Pretending seinen Druck entspannen und zumindest teil- und zeitweise seine Leistungsfähigkeit zurück gewinnen. Die "normalen" Entspannungsmethoden, wie z.B. Autogenes Training oder Progressive Muskelrelaxation bringen dort kam nennenswerte Ergebnisse geschweige denn anhaltende Besserung. Dem Pretender das Pretenden zu verbieten bzw. zu entziehen, führt dazu, dass der Druck ins Unermessliche und nicht mehr Aushaltbare steigt und der Betroffene in Kurzschlusshandlungen endet, in dem er beispielsweise Amputationen an sich selbst vor nimmt oder durch Manipulationen ein ärztliches Handel erzwingt oder Unfälle vortäuscht, um den Zustand der Behinderung endlich zu erreichen. Wer dem Pretender meint, dass pretenden entziehen zu können, handelt in Anbetracht der dramatischen möglichen Folgen, in meinen Augen verantwortungslos. Das Pretending hat dann auch rein gar nichts mehr mit den oft und gern hinein interpretierten sexuellen Gelüsten zu tun, sondern ist reine Nothilfe und im wahrsten Sinne des Wortes NotWendigkeit - es geschieht um die bitterste seelische Not des Betroffene zu wenden.

Das Pretenden kann nur gelegentlich bishin zu täglich stundenweise oder gar dauerhaft erfolgen. D.h. im letzteren Falle hat der Betroffene seine Behinderung in den Alltag integriert und lebt am Tag 24 Stunden als Behinderter. Die Techniken hierzu reichen von primitiven Eigenbauten, Umbauten von gebraucht erworbene, umgenutzten Hilfsmitteln, die meist schlecht passen, daher eher selten benutzt werden und im Verdacht stehen, den BIID-Druck noch zu verstärken, bis hin im letzteren Falle zu meist sehr ausgefeilten Techniken (professionell hergestellt), mit an den Betroffenen und dessen Bedürfnisse angepasste gut sitzende Hilfsmittel, die ohne Schaden zu verursachen permanent genutzt werden können. Zur Zeit läuft eine aussichtsreiche Studie, die das Pretendingverhalten und dessen Auswirkungen untersucht. Hierbei wird ebenfalls an s.g. Dauerpretendern (BIIDler, die ihr Leben ohne reale Behinderung komplett behindert leben, unter Nutzung von professionell hergestellten Hilfsmitteln) untersucht, ob die (weitgehend) dauerhafte Nutzung spezieller orthopädischer Hilfsmittel (z.B. spezielle Orthesen oder Pretenderprothesen) eine signifikante Minderung des Leidensdruckes der Betroffenen mit sich bringt, was durch diese Anwender oft schon bestätigt wird.

Die Fragen zu 4b. sind wirklich sehr benutzerabhängig. Es gibt dort die volle von Ihnen zitierte Bandbreite. Durch die sexuelle Komponente, die bei BIID beschreiben wird, kommt es natürlich vor, dass die Hilfsmittel nicht nur reines Mittel zum Zweck sind sondern mehr darin gesehen wird, als nur der Ausgleich einer Behinderung, was man aber keinesfalls verteufeln darf, da im Vordergrund das Leiden des BIIDlers und dessen Bewältigung steht. Eine Tendenz zur offenen oder versteckten Nutzung der verwendeten orthopädischen Hilfsmittel (seien es Orthesen, Prothesen, orthopädische Schuhe u.v.m.) mag ich nicht erkennen. Das ist wirklich individuell sehr verschieden und hängt mit dem Mut und der Einstellung des Betroffenen zusammen und folgt insgesamt der Heterogenität von BIID in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen, Ausprägungen und der Stärke des Leidens. Wer eher professionell angefertigt Hilfsmittel trägt, die dies optisch auch hergeben, wird diese sicher dem allgemeinen Trend der Behinderten folgend, auch gern einmal offen tragen. Wenn das Ganze nicht so ansehnlich ist, oder der Mut reicht nicht, der wird eher dazu neigen, es zu verstecken. Wer z.B. Orthesen in orthopädischen Maßschuhen (Orthesenschuhe) trägt, der hat keine Wahl, zumindest die ungewöhnlichen Schuhe sind zu sehen, ob man will oder nicht.

Ebenso verhält es sich mit Modellwahl (klassisch oder Hightech). Hier spielen die Vorlieben des Betroffenen eine große Rolle. Eine echten Trend auszumachen, damit wäre ich sehr vorsichtig.

In jedem Falle kann man aber sagen, dass Pretending immer noch ein sehr "einsames Geschäft" ist und oft im Verborgenen, nur zuhause oder an fremden Orten, weit ab vom eigenen Wohnort in der Öffentlichkeit oder nur des Nachts stattfindet. Hier spielt der Mut und die Möglichkeiten des Betroffenen eine wesentliche Rolle. Dies aus Angst des Entdecktwerdens durch bekannte Personen und sich dann irgendwie erklären müssen.

zu 5. Hierzu kann ich leider keine Aussage machen, ich stelle mir aber vor, dass wird sicher dort recht ähnlich sein.

LG Bracemarc
PhDResearch
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Registriert: Mo 29. Feb 2016, 11:37

Re: PhD-Arbeit zu BIID

Beitrag: # 17312Beitrag PhDResearch »

Liebe alle,

vielen, vielen Dank! Und tatsächlich glaube ich auch, dass es für manche Aspekte vorteilhafter wäre, wenn wir die Diskussion in einem anderen Thread fortführen könnten. Von meiner Seite könnte etta dem gerne auch folgen. Ich habe aber auch kein Problem hier weiterzumachen, wenn es der Mehrheit lieber ist.

Meine nächsten Fragen sind auch eher allgemein. Sie beziehen sich auf historische Quellen und die bereits erwähnten Medientechniken. (Dabei interessieren mich weniger Berichterstattungen oder ähnliches, sondern Medien als solche. Also Text, Bilder, Zeitschriften, Internet oder youtube und wie mit diesen kommuniziert wurde.)

Gerade für Menschen wie Sie, mit einem derart speziellen und seltenen Begehren, die sich auch noch an völlig unterschiedlichen demografischen Standorten aufhalten, müssen ja Medien zu allen Zeiten eine Grundvoraussetzung gewesen sein, um sich finden zu können.

1. Wie haben sich Betroffene vor dem Internet gefunden, ausgetauscht und herausgefunden, dass sie nicht alleine sind?

Ich denke, dass dies bspw. für devotees sehr viel einfacher war, da man den Sex als eine gemeinsame Verständigungsgrundlage hatte, das heißt es nahe liegend war Leserbriefe oder Annoncen in dementsprechenden Magazinen zu veröffentlichen. Einen Ort oder ein Forum zu finden, wo man hingegen über die Körperinkongruenz eines BIID-Betroffenen sprechen kann, stelle ich mir sehr viel schwieriger vor, vor allem wenn keine sexuelle Komponente vorlag.

2. Haben sich daher die Netzwerke von BIIDlern oder wannabes früher viel eher mit denen von devotees oder Amelotisten überschnitten? Und falls, hatten die unterschiedliche Bezeichnung und Unterscheidungen – bspw. durch die Medizin – Einfluss darauf, dass man sich voneinander abgrenzte?

Mir ist aufgefallen, dass auf den Seiten von devotees oder Amelos sehr großer Wert auf eine eigene Geschichtsschreibung gelegt wird und ein sehr breiter Fundus an historischen Quellen gesammelt und bereitgestellt wird.

3. Kennen Sie zufälligerweise Quellen von oder zu BIID-Betroffenen, bevor es das Internet und die Bezeichnung BIID gab, bspw. in Literatur, Zeitschriften oder ähnlichem?

Bspw. erwähnt der Autor Wallace Stort in einer Antwort auf einen Leserbief im London Life Magazine von 1930 eine Person, deren Beschreibung passen könnte. John Money wiederum berichtet in seinem Artikel zur Apotemnophilie den Leserbrief eines Studenten in der Oktoberausgabe des Penthouse von 1972, der sich eine Amputation wünscht. Allerdings ist die Quellenangabe nicht korrekt, bzw. konnte ich den Brief nicht finden.

Mit herzlichen Grüßen
Antworten